„Der Räuber Kneißl“ bei den Burgenfestspielen Niederbayern
Manchmal hat es sein Gutes, wenn man bei der Premiere verhindert ist, die am Freitagabend im Stadttheater Passau stattgefunden hatte. Die zweite Vorstellung von Wolfgang Maria Bauers neuem Stück „Der Räuber Kneißl“ konnte bei einem herrlich warmen Sommerabend am Sonntag dann auf der Veste Oberhaus stattfinden, wofür das Stück auch im Rahmen der Burgenfestspiele, durchgeführt vom Landestheater Niederbayern, geplant war.
Neues Theaterstück von Wolfgang Maria Bauer
„Der Räuber Kneißl“ – in oberbayerischer Mundart – ist in doppelter Hinsicht bemerkenswert. Zum einen ist es stets spannend einem neuen Theatertext zu begegnen. Dass das Sujet ein historisches ist und einen Mann behandelt, der als Mythos in die bayerische Geschichte eingegangen ist, macht es noch spannender.
Wolfgang Maria Bauer, hat bereits mehrere Theatertexte geschrieben; er ist Oberspielleiter am Landestheater Niederbayern. Den meisten dürfte er jedoch bekannt sein aus Film und Fernsehen, wo er häufig die Schurken spielt.
Geschickt legt er das Stück an: Da das Ende ohnehin bekannt ist, setzt er die Hinrichtung Mathias Kneißls ziemlich an den Anfang, erzählt nicht chronologisch, sondern retrospektiv. Dabei bedient er sich nicht nur dokumentarischen Zeugnissen, sondern vor allem vielen fiktiven Spielszenen und Dialogen mit dem Impetus: So könnte die Räubergeschichte gewesen sein. Wie ein Mosaik montiert er die Textstücke zusammen. Dabei schart er um den Räuber Personen mit verschiedenen Perspektiven: Mutter und Geschwister, Polizisten, echte und vermeintliche Freunde, Bewunderer, Liebschaften, Justizvertreter, Bauern, Pfleger, Plakatierer, Lehrer, Pfarrer und Bestatter – und sogar Prinzregent Luitpold darf auftreten. Die Vielzahl ermöglicht zum einen den Querschnitt durch die Gesellschaft um 1900, in der es ein klares Unten und Oben gab, zum anderen das Beleuchten zahlreicher Aspekte um Räuber Kneißl. Das ist raffiniert, weil der Leser bzw. Zuschauer, der die Historie nicht kennt, auf kurzem Wege informiert ist. Als Wechselspiel kontrastiert er Szenen kurz vor seinem Tod, mit welchen aus seiner Vergangenheit. Und: Dem Mythos wird konsequent Ade gesagt. Es gibt keine Räuberromantik und keine Heldenfigur à la Robin Hood.
Der Autor als Regisseur
Diese Haltung in seinem Text setzt Wolfgang Maria Bauer als Regisseur auf der Bühne konsequent um. Er lässt das Schauspiel in einem kargen und doch sehr prägnanten Raum spielen. Die Bühne beherrscht ein großes Fallbeil, das in einem Rahmen gesetzt ist. Der Bühnenhintergrund, eine Bretterwand, wird mal braun und mal rot ausgeleuchtet oder bleibt schwarz. Das bewegliche Konstrukt des Fallbeils wird multifunktional auch mal als Tisch, Plakatierwand oder Klomauer benutzt. Die Aufführung braucht kaum Requisiten: einen Wirtshaustisch für die „Gerüchteküche“ um die Jahrhundertwende, ein paar Teller, die auch die Armut symbolisieren, das Radl, mit dem Kneißl auf der Flucht ist und natürlich Gewehre. Omnipräsent und zentral im Bühnenbild ist ein Matratzenfederkern, der multifunktionaleingesetzt wird z. B. als Gefängnisgitter oder als Liebeslager.
Die Kostüme von Ines Schmiedt erinnern an die Zeit um die Jahrhundertwende, der Kneißl-Darsteller ist wie auf einem Porträt des Räubers von 1901 ausgestattet. Das alles ist schlicht – ohne kitschig historisierend zu sein.
Dass dieser Theatertext so fulminant zum Leben erweckt wurde, liegt vor allem an der Spielfreude des Ensembles, das großteils in mehreren Personen und unterschiedlichen Sprachhaltungen auftritt.
Intensiver Bandit: Ferdinand Maurer

In Ferdinand Maurer, geboren 1984 in Erding, der seit 2018 die traditionellen Weiherspiele in Markt Schwaben inszeniert und dort Schauspieler und musikalischer Leiter wirkt, ist ein idealer Mathias Kneißl gefunden. Von der Statur der historischen Gestalt ähnlich, gibt er einen sehr intensiven Banditen, der mit seinen Taten und den Legenden über ihn hadert, an die Kinder der getöteten Gendarmen denkt und einen Traum von Amerika hegt wie seine Freundin Mathilde. Zugleich wird ihm bewusst: Über dem Teich ist er niemand, in Bayern der Kneißl. Er ist ein Einsamer, Getriebener, verfolgt von den Gendarmen und seinen Ängsten. Anrührend sind die Szenen mit der scheuen, mädchenhaften Mathilde (Katharina Plank), die ihn liebt und retten will – und ihn doch verrät. Ihre Antagonistin ist die Schwoofmarie (Larissa Sophia Farr). Sie wird als selbstbewusste Frau gezeigt, die gerne die Galionsfigur dem Schiff, das er schnitzt, sein will, um sich einen Platz in der Geschichte zu sichern.
Liebende Mutter: Antonia Reidel

Herausragend gestaltet Antonia Reidel die Mutter des Kneißl. Auch wenn man im Rückblick sieht, dass sie es war, die ihre Buben zum Schießen und Wildern erzogen hat, so ist sie doch ganz Liebende, wenn es darum geht ihren Buben zu retten. Sie kreischt, flucht, schreit, bettelt um Gnade für ihn – und kämpft noch nach seinem Tod um die Würde ihres Sohnes, indem sie den Totengräber besticht, dass sie ihn begraben darf. Wie innig und schmerzensvoll leidend sie ihn hält – da erinnert sie an Pietà-Figuren in der Kunstgeschichte und in ihrem Furor an Brechts „Mutter Courage“.
In mehreren Rollen spielen:

Paula Maria Kirschner, die eine herrliche Persiflage auf den Prinzregenten gibt, im Paradekostüm mit weiß-blauem Federbusch. Luitpold lehnt am Klo das Gnadenbesuch ab.
Benedikt Schulz, der als niedergeschossenes Kneißl-Opfer dem Verbrecher verzeiht, und sein Leben im Rollstuhl bei guter Pension glorifiziert.
Joachim Vollrath, der den Wankelmut und die Habgier Riederers darstellt, als ein Kopfgeld auf Kneißl ausgesetzt wird.
Reinhard Peer, der als Totengräber mit knarzender Stimme und derben Sprüchen den Leichenwagen in die Anatomie bringen will und sich von der Mutter bestechen lässt, die Leiche frei zu geben.
Stefan Sieh als Plakatierer, der über das Oben und Unten räsoniert, Steckbriefe des Räubers, den er bewundert, aufhängt. Denn: „G’wissen muss man sich leisten können.“
Paul Behrens als Scharfrichter, der akkurat Buch führt über die Hinrichtung und sagt: „Ich bin ja nur die Exekutive, mich fragt ja keiner.“
Ein wesentlicher Bestandteil des Abends ist die Bühnenmusik. Sie ist mal in das Geschehen integriert ist, z. B. in der Familienszene, in der alle Hollerkiacherl essen oder in der Tanzszene. Mal nimmt die Musik den Rhythmus der Schauspieler auf, z. B. bei den Schritte des untertänig tief buckelnden Prinzregenten-Dieners.
Songs von „Dreiviertelblut“
Die musikalischen Arrangements stammen von Martin Kubetz und Julian Schwarz, die Songs von der oberbayerischen Band Dreiviertelblut ausgewählt haben, die zur Stimmung des Stücks gut passen. Insbesonders: „Deifedanz“. Dieser Kneißl, der ein Volksheld werden wollte und als Verbrecher endete, hatte keine „guaten Schua“.
Dokumentarisches Theater, Volksstück, Heldendrama, Räuberpistole? Nichts von alledem.
Es ist eine eindringliche Tragödie eines Verzweifelten, der seine Herkunft nicht ablegen konnte und dem die Gesellschaft keine Chance gab.
Weitere Vorstellungen:
In Landshut: 11. und 12. Juli im Prantlgarten, Beginn: 19.30 Uhr
In Passau: 4. und 5. Juli auf der Veste Oberhaus, Beginn: 20 Uhr