„Trial by Jury“ und „Gianni Schicchi“ am Landestheater Niederbayern
Betrug und Heuchlerei ist das Thema, das „Trial by Jury“ und „Gianni Schicchi“ eint, ebenso dass beide Werke menschliche Abgründe in satirischer Form zeigen. Am Samstag hatten die beiden Einakter Premiere am Landestheater Niederbayern im Fürstbischöflichen Opernhaus in Passau. Intendant Stefan Tilch, der auch REgie führt, interpretiert die Einakter als Satire auf die Justiz.
Musikalisch dominant ist an diesem Abend „Gianni Schicchi“, die einzige heitere Oper von Giacomo Puccini, ein Teil der dreiaktigen Oper „Il trittico“, die 1918 in New York uraufgeführt wurde. Librettist Giovacchino Forzano nahm ein paar Zeilen aus Dantes „La Divina Commedia“ über den historischen Schicchi als Grundlage für sein Libretto.
Die Bühne dominiert ein großes Holzbett, die Familie ist versammelt und wartet sehnlichst auf den Tod des Familienoberhaupts. Dem vermeintlich letztem Atemzug folgt mehrmals ein Seufzer, bis die Familie dann – im wahrsten Sinne des Wortes – in einen Freudentanz ausbricht und schließlich in eine hektische Suche nach dem Testament. Die Erstarrung folgt prompt: Die Mönche erben alles. Die Familie soll leer ausgehen – da kommt der durchtriebene Gianni Schicchi ins Spiel und schlägt einen Betrug vor – der anders ausfällt, als es sich die Familie wünscht. Er trickst sie aus und kassiert selbst ab.
Perfektes Timing
Stefan Tilch, der mit sechs Jahren das Stück am Passauer Theater gesehen hat, wie er in einem Interview mit der Passauer Neuen Presse verriet, liefert mit dem spielfreudigen Ensemble eine turbulente Inszenierung. Das Timing ist perfekt durchdacht, wenn es gilt die Leiche des Don Buoso unterm Bett im Teppich oder vor dem Arzt zu verstecken. Tempo ist bei allen Aktionen der geldgierigen Familie angesagt, vor allem wenn sie am Ende noch versucht, alles aus dem Haus zu tragen, was nicht niet- und nagelfest ist. Die Szene spielt in Florenz, die Türme sind im Hintergrund zu sehen. Eine Treppe und ein Balkon bieten zusätzliche Spielebenen (Bühne: Karlheinz Beer). Die Kostüme sind im italienischen Stil entworfen, alle dürfen italienischen Chic zeigen (Dorothee Schumacher). Die textile Farbigkeit wird übertrumpft von der musikalischen.
Byung Jun Ko singt Gianni Schicchi

Generalmusikdirektor Basil H. E. Colemann, der die beiden Einakter im Wechsel mit Peter WesenAuer dirigiert, und die Niederbayerische Philharmonie überzeugen durch eine klanglich gut abgemischte Farbpalette. Klar artikuliert sind auch die Dissonanzen, die die Modernität in Puccinis Musik zeigen. Genug Raum haben die Sänger. Die Titelfigur interpretiert Byung Jun Ko wundervoll: selbstbewusst, schlitzohrig, zielstrebig mit geschmeidigem Bariton. Delikat ist die Szene, in dem er das Testament diktiert. „Addio Firenze“ erklingt mal laut, mal leise, aber immer drohend. Der Tochter Gianni Schicchis gehört der lyrischste Moment des Abends: Mit ihrem innigen „O mio babbino caro“ betört Natasha Sallès nicht nur ihren Vater, sondern auch das Publikum. Ihr Geliebter Rinuccio wird von dem Tenor Edward Leach zurückhaltend mit elegantem Schmelz interpretiert. Die beiden stehen abseits der keifenden Familie – und sind am Ende die Gewinner. Die Familie ist in der Typen-Tradition der Commedia dell’arte zu erkennen, z. B.: Gherardo (William Diggle), Betto (Oscar Marin Reyes), Zita (Lucie Ceralová), Nella (Emily Futz), Ciesca (Sabine Noack), Marco (Peter Tilch), Notar (Martin Limmer) und der Arzt (Franziskus Rohmert).
Giacomo Puccini hat dieses kleine Werk, das er in einer Phase von Melancholie und Depression schrieb, besonders geliebt. Als er Ende 1921 von Torre del Lago in eine Villa nach Viareggio zog, gründete er den „Gianni-Schicchi-Club“ , dessen Motto „Leben und leben lassen“ war. Verboten waren „Politik und andere melancholische Themen“.
In Deutschland wenig gespielt
Während Puccinis Einakter beziehungsweise „El Trittico“ in Europa sehr berühmt wurden, blieb „Trial by Jury“ des englischen Operettenduos Gilbert & Sullivan bei den Festlandeuropäern weitgehend unbekannt und wird auch heute selten gespielt. Sullivan-Forscher sind der Meinung, dass dies z. B. im deutschsprachigen Raum an der früher geltenden strikten Trennung von in U- und E-Musik liegt. Nicht so in UK, wo Arthur Sullivan, der in Leipzig studierte und gut Deutsch sprach, und Wilhelm Schwenck Gilbert mit dieser Operette eine neue Tradition begründeten. „Trial by Jury“ wurde 1875 uraufgeführt und gehört seit dieser Zeit zu den beliebtesten „Nebenstücken“ des englischen Theaters. 1961 liefen die Urheberrechte an den Werken von Gilbert und Sullivan aus. Die Tantiemenfreiheit führte auch auf dem Festland zu Aufführungen. Für das Niederbayerische Landestheater ist der Einakter eine Erstaufführung. Das britische Rechtswesen kannte der Dramatiker Gilbert sehr gut, da er einige Jahre als Rechtsanwalt tätig war. So gelang ihm ein sehr satirischer Text über das Rechtswesen und die viktorianische Gesellschaft. Vorbild dafür war ein Geschworenenprozess über ein gebrochenes Eheversprechen.

Stefan Tilch lässt den Einakter in einem Gerichtssaal mit Geschworenenbänken, Stühlen und einem erhöhte Richtersitz spielen. Dahinter steht eine Galerie für die Zuschauer, sprich den Chor. Er legt sein Augenmerk auf die Personenregie: Während ein Geschworener schon seine Redegestik einübt, der Anwalt mit einem Diaprojektor kämpft, kommt der Richter ganz entspannt im Glencheck-Mantel, Brötchen essend und mit einem Becher in der Hand in die Verhandlung. Für Bariton Peter Tilch ist diese Partie eine kleine Preziose; tänzeln stellt er sich vor als einst „liebeskranker Junge“. Die Karriere seiner Figur kommt auch schön überspitzt rüber: „When I, good friends, was called to the bar“.
Der Richter wie auch die Geschworenen erkennen in dem Vergehen des Angeklagten Edwin (Edward Leach) ihr eigenes Verhalten in der Jugend – wollen aber dennoch streng sein. Edwin scheint im Prozess eher gelangweilt und liest ein Buch, sein Verhalten verteidigt er wortreich („When first my old, old love I knew“). Die Braut, die er nicht mehr will, ist die schöne Angelina, von Emily Fultz reizend dargestellt, makellos in ihrer Interpretation.
Ein witzige, Slapstick-Nummer macht William Diggle aus seiner Anwaltsrolle. Er kämpft nicht nur für die verlassene Braut („With a sense of deep emotion“), sondern auch mit dem Diaprojektor, was darin gipfelt, dass er dann vor den projizierten Bildern steht und man nichts sieht. Sogar Bigamie schlägt der Richter vor – um die Situation zu retten. Schließlich heiratet er die hübsche Verlassene selbst. Der Chor, einstudiert von Guiran Jeong, trägt sehr zur spritzigen Interpretation und der Turbulenz auf der Bühne bei, ebenso die Choreografie von Sunny Prasch. Dem Engländer Basil H. E. Coleman liegt die englische Musik ohnehin sehr. Er lässt in dieser musikalischen Satire Funken sprühen.
Ja, dann ist da noch ein Ritter, der mit einem Huhn zuschlägt. Eventuell eine Anspielung auf die Ritter des Mittelalters, die nicht nur kämpfen, sondern auch Recht sprechen durften. Das Schwert ist nicht mehr scharf und weg. Ein Huhn tut’s auch. Der Humor der britischen Komikertruppe Monty Phyton lässt grüßen!
Nur Satire und lustig? Eine theateraffine Anwältin kommentierte angesichts von Erbschleicherei, Lug, Trug und Habgier: „Wia im richtigen Leben heute.“
Weitere Vorstellungen:
Landshut
14., 15. November, 6., 7. Dezember
Theaterkasse:
0871/9220833
Passau
9., 21. 22. November, 12. Dezember, 11., 30. , 31. Januar
Theaterkasse:
0851/9291913
Straubing
- November
Karten:
09421/94469199