Operntenor Jonas Kaufmann wird mit MiE Award in Passau geehrt
Die einen kennen ihn live von Bühne und Konzert, die anderen vom TV, wieder andere von CDs: Eloquent, bestens aufgelegt, offen, humorvoll und als Kämpfer für die Kinder in Äthiopien haben rund 450 Besucher den Startenor Jonas Kaufmann (geboren 1969 in München), sehr nahbar und leger im Medienzentrum Passau erlebt. Aus den Händen von Menschen-in-Europa-Gründerin und Verlegerin Angelika Diekmann erhielt der internationale Künstler, der auch Intendant der Festspiele von Erl ist, den MiE. Er ist der diesjährige Schirmherr der PNP-Spenden-Weihnachtsaktion.
Im Mittelpunkt der Charity-Matinee, moderiert von PNP-Redakteurin Eva Fischl, stand eine Gespräch mit Jonas Kaufmann, das die österreichische Fernsehmoderatorin Arabella Kiesbauer spannend und strukturiert moderierte.

Das waren die wichtigsten Themen:
Familie
Arabella Kiesbauer weiß, dass Jonas Kaufmann mit seiner Familie, Ehefrau Christiane Lutz und Sohn Valentin, angereist ist. Ihre erste Frage gilt dem Familienleben. Wie sieht ein normaler, beziehungsweise idealer Sonntag bei der Familie aus? Normale Sonntage gebe es wenige bei seinem Beruf, so der Opernsänger. Ein idealer Sonntag beginnt für ihn mit einem Cafe aficionado – dann steht er in der Küche. Wenn er zu Hause ist, „wird von mir ein mehrgängiges Menue erwartet.“ Auch weiß er: „Der familiäre Buschfunk funktioniert, wenn der Vater zu Hause ist.“ Dann steht er rundum, sind auch die älteren Kinder da und wird über Alltägliches, aber auch Sorgen gesprochen.
Die Moderatorin zitiert eine Studie: Je mehr die Menschen miteinander essen, desto glücklicher sind sie. Jonas Kaufmann kann dies nur bestätigen. Er kocht gern italienisch, asiatisch und deftig bayerisch. Das letzte Familienessen? Da kann er sich nicht erinnern, aber Ehefrau Christiane Lutz souffliert aus der ersten Reihe „Schweinebraten“. Für den Weihnachtsbraten ist er zuständig. Er isst gerne Wild, z. B. einen Hirschrücken.
Musik zu Hause
Da hört Jonas Kaufmann verschiedene Musikrichtungen. Er hat allerdings die die Leichtigkeit verloren, Aufnahmen zu hören, einfach weil sie schön sind. „Ich analysiere immer gleich.“ Wenn er mit seinen Kids unterwegs ist, „da habe ich Auto sofort die Hoheit über die Musik verloren“. Er hört gern Pop – Adèle oder Lady Gaga- Wenn er im Fernsehen einen Tag von Madonna oder Sting sieht, die kaum Privatleben haben denkt: „Da danke ich Gott, dass ich ein ganz normales Leben führen darf.“
Publikum
Seine größten Fans hat er wohl in Deutschland und Italien. In der Scala (Mailänder Oper) hat er 2014 40 Minuten Applaus erhalten. Trotz aller Anstrengungen vorher werde man dann vom Applaus und Adrenalin und der Stimmung getragen. Aber: „Applaus ist das Brot der Künstler würde ich so nicht unterschreiben. Ich brauche nachher auch noch ein Bisserl zu essen.“
Dass er auch mal genug sein muss, hat er einmal bei einem Puccini-Konzert, bei dem er sechs Zugaben gesungen hat, seinen Fans zu verstehen gegeben: Er hat „Nessun dorma“ (Arie des Prinzen Kalaf aus „Turandot“) ohne zugeknöpftes Mascherl gesungen mit der Bedingung „Ich sing noch, dafür lassen Sie mich aber nachher gehen“.
Ein ganz anderes Publikum hat er in der Oper von Oman (Royal Opera House in Muscat) erlebt. „Es ist ein anderer Kulturraum. Applaus und Bravo-Rufe sind völlig unbekannt.“ Nach dem ersten Lied völlige Stille; nach der zweiten Nummer begann eine Person zu klatschen. Nach der Pause waren die Zahl der Klatscher zweistellig. „Als Künstler hat man die Erwartungshaltung, dass eine positive Resonanz kommt, muss man sich abgewöhnen.“ Er verweist auf andere Länder: Die Japaner sind geschult worden zu klatschen, die Chinesen scheinen gelangweilt, schauen ins Handy, machen mal ein Foto, und tauchen wieder ab. Am Ende gibt es großen Applaus.
Auf und hinter der Bühne

„Ich bin eigentlich durch nichts aus der Ruhe zu bringen“, sagt Jonas Kaufmann. Aber auch er hat besondere Momente erlebt, wie einen Unfall m Orchester, ein Aussetzer beim Dirigenten. Er erinnert sich an eine Schrecksekunde in einer „Tosca“, als die Sopranistin die folgende Arie nicht singen wollte, „weil der böse Tenor seine Arie wiederholt hatte. Und einen Unfall in der Met, als ein Teil des Bühnenbildes abgebrochen war, und die Mezzosopranistin vom 2. Stock auf die Bühne stürzte. Oder an eine Panne im 2. Aufzug von „Parsifal“ bei seinen Festspielen in Erl, als der Lift mit den Blumenmädchen stecken geblieben ist, weil die Elektronik ausfiel. „Da musste ich unterbrechen und sagte: ich bin jetzt kurz nicht Parsifal, sondern der Intendant und muss mitteilen, dass wir ein technisches Problem haben.“
Über das richtige Maß zwischen Technik und Emotion beim Singen sagte er: „Im Idealfall ist es so, dass die Technik so verinnerlicht oder automatisiert ist. . . Das muss man beim Singen hinkriegen, dann kannst du dich ganz auf den Inhalt konzentrieren. Du schaffst es dann so weit, dass sogar ich als Künstler auf der Bühne quasi vergesse, dass das nicht echt ist, dass das nicht meine Worte, meine Situation und meine Gefühlte sind. Das ist unglaublich, wie weit man das treiben kann. … Es ist eine Gratwanderung, die man als Musiker immer versucht zu machen, dass man sich fast vergisst darin.“ Unsere Stimme verändert die Farbe entsprechend der Situation. Leid, Freude, Trauer, Angst, Aggression ist immer in unserer Stimme hörbar, auch bei der Sprechstimme. Wir hören das. Diese zusätzliche Subtextinformation ist da – und geht die Stimme „wie Butter durch die Brust ins Herz oder in die Seele“.
Auch das ist Thema: Othello geschminkt oder ungeschminkt? Blackfacing-Diskussion? Kann man sich andere Kultur aneignen, indem man so tut, als ob man jemand anders wäre? Kaufmann sagt: „Ja, das bedeutet Schauspiel – unter der Voraussetzung, dass auch das Publikum weiß, was ich tue.“
Zur Diskussion um Othello gibt er auch einen geschichtlichen Exkurs und kommt zum Schluss: „Es ist vollkommen egal, was den Mann zum Außenseiter macht, in dem Fall ist es die Hautfarbe, man findet auch Bilder dafür – ändert nichts an der Geschichte. Zu den vielen Missverständnissen über diese Rolle sagt er: „Es ist eine schwierige Sache: Wenn man alles auf die Goldwaage legt, können wir eigentlich gar nicht mehr Theater spielen.“ Weiter sagt er: „Im Theater hat man die Freiheit so zu tun, als ob man jemand anderes wäre. Draußen ist man es nicht.“ Er selbst versucht, über Psychologie an den Charakter heranzukommen, nicht über Kostüme, Perücke oder Maske.
Man macht eben Dinge auf der Bühne, die man im normalen Leben nie tun würde, z. B. Gewalt. Er glaubt auch, dass man wilde Instinkte des Urmenschen, die im Stammhirn versteckt sind, in sich hat. Als Schauspieler muss man sich weit in sein Inneres wagen, Dinge als Ich machen, um sie glaubwürdig zu machen. Als Beispiele nannte er Don Josè aus „Carmen“ auch „Peter Grimes“, der der Outcast ist mit inneren Zwängen – ein Autist, der nicht die Emotion der Gegenseite erkennt. Für Jonas Kaufmann ist wichtig: „Was ist das für ein Mensch, was treibt ihn an, warum ist er das, was er ist.“
Auch hier wird er sehr persönlich: Wie kommt man aus der Rolle raus? „Was wichtig ist: Ohne Applaus, weiß ich überhaupt nicht, wie ich daraus komme. Zum Beispiel in einem Konzert, die man selbstverzehrend interpretiert, ist der Applaus wichtig“ – diese Erkenntnis hat er auch in der Corona-Zeit bei virtuellem Singen bemerkt.
Spendenaktion für Kinder in Äthiopien
Jonas Kaufmann hat die Schirmherrschaft für die Weihnachtsspenden-Aktion für Kinder in Äthiopien übernommen. „Es ist erstaunlich, wie wenig Aufmerksamkeit die Schwächsten unserer Gesellschaft bekommen.“ Das kann er als vierfacher Vater kaum fassen. Er erklärt seine Beweggründe: Das große Problem sind die vielen schrecklichen Nachrichten, was anderes nach hinten rücken lässt. Die Kriege verschärfen die Situation in Ländern wie Äthiopien enorm. Die Preise für Getreide und Reis gehen durch die Decke, die Ukraine fällt als großer Getreidelieferant aus. Warum er sich gerade für die PNP-Aktion entschieden hat: „Diese Aktion ist schon unglaublich. Der Unterschied, zu dem, was man sonst kennt: Man zahlt seine Spende und sieht und hört nie wieder davon. Hier ist es anders: In allen Medien der Gruppe wird intensiv berichtet. Man sieht 1:1, was mit dem Geld passiert. In manchen Jahren kommt über eine halbe Million zusammen; das journalistische Berichten von Einzelschicksalen ist etwas, das einmalig ist. Dies führt letztlich wahrscheinlich dazu, dass die Menschen spenden. „Es ist erstaunlich, wie wenig Aufmerksamkeit die Schwächsten unserer Gesellschaft bekommen.“ Das kann er als vierfacher Vater kaum fassen. „Nach diesem Spendenaufruf weiß eigentlich ein jeder, was er tun könnte. Es bleibt zu hoffen, dass er oder sie das auch tut.“
Laudatio hält Thomas Gottschalk
Der legendäre TV-Entertainer bekennt sich als ein großer Fan und gleichzeitig ein Kollege von ihm. Denn Jonas Kaufmann sieht Oper auch als Unterhaltung. Glaube aller Konfessionen, lineares Fernsehen und Oper sind heute aus jungen Köpfen verschwunden. Genre sei nur schwierig in junge Köpfe zu bringen. Gottschalk sieht Jonas Kaufmann als Sänger. „Du bist einer, der nicht nur inhaltlich überzeugen kann, sondern auch optisch.“ Gottschalk nennt Jonas Kaufmann „den George Clooney der Oper“ und einen Exportschlager in die USA „Made in Germany – besser als alle Überseeprodukte, auf die wir so stolz waren.“
Eine Uraufführung für Jonas Kaufmann

Der österreichische Komponist Peter WesenAuer hat ein Stück für Klavier und Querflöte eigens für diesen Matinee geschrieben. Ideengeber Basil H. A. Coleman, Generalmusikdirektor des Landestheaters Niederbayern, saß am Klavier, Flöte spielte Hazar Birkan. Das Stück in zwei Sätzen heißt „Eins, zwei, drei, die Kunst ist frei!“ Der erste Teil assoziiert die Musik der 20er Jahre, ist voller Sentiment und Lyrik; der zweite wird getragen von dahineilender Rhythmik und erfrischender Fröhlichkeit. Die Noten scheinen sich zu überschlagen. Ein Bravo an die Akteure.
Die Charity-Matinee und die PNP-Weihnachtsaktion finden in Zusammenarbeit mit der international agierenden Hilfsorganisation SOS-Kinderdörfer statt zugunsten von rund 10 000 Kindern in Äthiopien. Lanna Idriss, Vorstandsvorsitzende der SOS-Kinder weltweit gab einen Überblick über die Sorgen der Organisation und die Nöte der Kinder und Jugendlichen, die „nie im Hauptfokus der Nachrichten stehen“.