Song-Contest auf der Wiesn

Bühnenbild mit Ensemble im 3. Akt der „Meistersinger von Nürnberg“ in Bayreuth. © Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

„Die Meistersinger von Nürnberg“ bei den Bayreuther Festspielen

 

Als Satyrspiel hat Richard Wagner seine 1867 komponierten „Die Meistersinger von Nürnberg“ bezeichnet. Mit der Komödie über die Handwerkerzünfte in Nürnberg wurden die Richard-Wagner-Festspiele Bayreuth eröffnet.

Ich war in der zweiten Vorstellung am Grünen Hügel – und kann das Presse-Gezeter um die Neuinterpretation nicht nachvollziehen.  Liegt es vielleicht daran, dass Regisseur Matthias Davids eher für Musical-Produktionen als für Opernregie bekannt ist? Er wurde für „Le roi Carotte“ und „Sweeney Todd“ an der Volksoper Wien jeweils mit dem Österreichischen Musiktheaterpreis ausgezeichnet- Für „In 80 Tagen um die Welt“ (Landestheater Linz) erhielt sechs Deutsche Musical Theater Preise und den Österreichischen Musiktheaterpreis. 2023 wurde er als erster Künstler für herausragende Verdienste um das Genre Musical mit dem Craig-Simmons-Preis ausgezeichnet.

Heiter und grotesk

Das Komödiantische liegt ihm also. Satyr-Spiel  bedeutet heiter und grotesk. Dies war wohl der Ansatz für Regisseur Matthias Davids, der „Die Meistersinger“ an ihrem Spielort Nürnberg belässt. Denn heiter und grotesk ist bei diesem Song-Contest der Meister einiges. Übertreibung ist eines der gewählten Stilmittel – sei es im Bühnenbild (Andrew D. Edwards) oder bei den Kostümen (Susanne Hubrich). Geschickt genutzt wird die Drehbühne, die mal mit steilen Podest zur Katharinenkirche führt, mal die stilisiert dargestellte Altstadt von Nürnberg, eine moderne Handwerksstube und eine bunte Festwiese darstellt. Der Bühnenbau ist beeindruckend, aber: Muss die Treppe zur Katharinenkirche wirklich so steil sein? Die Sänger „hanteln“ sich – unsicher wirkend – am Geländer rauf und runter, starren auf die Treppe statt frei ins Publikum zu schauen und zu singen. Das wirkt angestrengt und unfreiwillig komisch. Am Ende der Treppe ist ein Warnschild angebracht. Regieidee oder doch Vorgabe des TÜVs? Sänger sind meist hoch versicherte Persönlichkeiten . . .

Eine Showbühne für den Sängerwettbewerb

Im Gegensatz zur eher düsteren Optik der ersten beiden Akte wird es im letzten Akt knallbunt und allzu schrill. Die Festwiese gleicht einer Wies‘n mit Showbühne. Über der Szenerie hängt kopfüber eine lachende, pralle Plastik-Kuh, deren Gesicht an die Karikatur von Benjamin Rabier erinnert, der als Veräppelung von Wagners „Walküre“ einer lachenden Kuh den Namen „La Vache qui rit“ gab. Ein halbrunder Lichterstrahlenkranz erinnert an Showauftritte. Alles recht kitschig und doch sehr passend zu einem Song-Contest der Besten.  Die Trophäe – Eva – darf im opulent geschmückten Blumenwagen verharren, bis sie als Erlösung ihren Liebsten zugesprochen bekommt. Der Trubel auf der Festwiese gleicht einem Lederhosen- und Dirndl-Treffen auf der Kirmes oder der Müchner Wiesn, dazwischen tummeln sich rotbemützte Zwerge und einige Promidarsteller im Doppel – so Thomas Gottschalk, Karl Lagerfeld und Angela Merkel. Ein Gag, der inhaltlich ins Leere läuft. Die Meistersinger selbst treten in wallenden Kostümen und Hüten aus der Faschings-Bütt auf und werden wie Stars umjubelt. Eine kunterbunte Welt also, die nicht immer Sinn macht.

Was an dieser Aufführung gefällt, sind der Schwung und die Bewegung, die in jedem Bild stecken. Höhepunkt ist die Rauferei und natürlich die Festwiese. Da kann man die Erfahrung des Regisseurs mit Massenszenen erkennen! Wunderbar komisch der Moment, wenn Sachs von der Überlegenheit der deutschen Kunst singt – und Beckmesser der aufgeblasenen Kuh die Luft auslässt, bis Sachs ihr dann wieder „Saft“ gibt. Da gibt es dann doch einige Lacher im Publikum, das an diesem Tag insgesamt sehr verhalten reagiert.

Keine verhaltene Reaktion gibt es gegenüber den Sängern.

Wunderbar: die beiden Kontrahenten um Eva

Von den Solisten begeisterten vor allem die beiden Kontrahenten um Eva: Michael Spyres singt Walther von Stolzing mit wunderschönen Gesangslinien und herrlicher Leichtigkeit in den Höhen; schauspielerisch agiert mal zurückhaltend, mal forsch – immer ganz als Verliebter.

Sein Widersacher im Wettsingen um die Gunst des Mädchens ist der Stadtschreiber Beckmesser. Der stimmschöne Bariton Michael Nagy macht aus dieser Rolle ein köstliches Paradestück: er changiert zwischen Komik und Tragik so heftig, so dass das Jämmerliche dieses Beckmessers sehr augenfällig ist. Seine teils pinkfarbige E-Gitarre passt  zum knalligen Bühnenbild. Dass er nach der „Schlägerei“ mit einer Beinschiene auftrirt, ist kein Gag der Regie. Wie in den Gazetten in Bayreuth zu lesen war, hat er sich verletzt.

Neue Nuancen für Hans Sachs

Die längste und anstrengendste Partie des Abends hat der Interpret von Hans Sachs. Es ist das Rollendebüt des Bassbaritons Georg Zeppenfeld. Darstellerisch weiß er der Rolle neue Nuancen zu geben. Der Sachs merkt, dass er seinen Zenith überschritten hat und ist offen für Neues. Zeppenfeld gestaltet ihn nicht holzschnittartig, sondern eher als Intellektuellen und Philosophen. Das tut der Rolle gut. Stimmlich kann er nicht ganz überzeugen. Auch wenn zarte und weiche Töne gelingen, merkt man doch, dass für den Bass so mancher höhere Ton unbequem ist.

Eva – am Ende eine moderne Frau

Christina Nilsson (im Landhausstil und im Edeldirndl) ist als Eva ganz verliebtes, verspieltes Mädchen; sie weiß die Partie – trotz ihrer kleinen Stimme – ansprechend zu gestalten. Am Ende hat Regisseur Davies für diese Rolle noch eine Überraschung parat. Eva steigt als moderne junge Frau in Jeans und gelbem Trenchcoat aus ihren Blumenwagen. Selbstbewusst gibt sie die Medaille, die ihr Liebster errungen hat, zurück. Die beiden brauchen das Gütesiegel nicht, um glücklich zu werden!

Der musikalische Leiter Daniele Gatti lieferte ein zügiges Dirigat im besten Einvernehmen mit den Sängern. Grundsolide war diese musikalische Gestaltung in den beiden ersten Akten, aber auch nicht mehr. Zur Bestform kam er erst im dritten Akt, den er – trotz des Durcheinanders auf der Bühne – prägnant und durchsichtig gestaltete.

Der Chor unter Thomas Eitler-de Lint ließ auch eine gute Leistung hören, ist aber deutlich verkleinert. Er besteht aus Künstlern, die ausschließlich für die Proben- und Aufführungswochen in Bayreuth zusammenkommen, ergänzt durch einen Sonderchor. Unter den Gastsängern im Chor ist in diesem Jahr auch der am Landestheater Niederbayern in zahlreichen Inszenierungen umjubelte Tenor Jeffrey Nardone.

Fazit: Satyr lässt grüßen. Eine erfrischend neue Sicht!

Weitere Aufführungen:

5., 11., 14., 19. Und 22. August