Eine Außenseiterin und ihr Unglück

Ausdrucksstark in Stimme und Spiel: die US-amerikanische Sopranistin Corinne Winters. © SF / Monika Rittershaus

„Kátia Kabanová“ bei den Salzburger Festspielen

 

Familienkonstellation mit drei unterschiedlichen Frauen

Drei völlig unterschiedliche Frauencharaktere stehen im Mittelpunkt der dreiaktigen Oper „Kátia Kabanová“ von Leoš Janáček, der auch das Libretto nach Alexander Ostrowskis Drama „Gewitter“ schrieb. Hauptperson ist Titelfigur Kátia, die an ihrer Ehe mit dem mutlosen und trinkenden Tychon, ihrer unerfüllten Liebessehnsucht und nicht zuletzt an den eifersüchtigen Hasstiraden ihrer Schwiegermutter leidet. Diese, Kabanicha, genannt demütigt ihre Schwiegertochter, wo sie kann. Die dritte Frau in dieser Familienkonstellation ist, Ziehtochter ist Varvara, die die neue und selbstbestimmte Generation verkörpert. Sie wird ihre Freundin Kátia schließlich zum Ehebruch verleiten . . .

Überkommene Gesellschaftsstrukturen

Die Salzburger Festspiele haben diese Oper des tschechischen Komponisten, die 1921 in Brünn uraufgeführt worden ist, im Programm. Dass Regisseur Barrie Kosky sie nicht in einen Fantasiedorf in Russland spielen lässt, ist von vorneherein klar. Er nimmt sie als Beispiel für überkommene Gesellschaftsstrukturen und als Beispiel für Masse kontra Individuum.

Statisches Bühnenbild trägt den Abend nicht

Das Bühnenbild (Rufus Didwiszus) in der Felsenreitschule nimmt nicht die hier gegebene Architektur auf, sondern schafft eine grau-blaue Mauer, vor der eine Masse Mensch (Statisten und menschengroße Puppen) mit dem Rücken zum Publikum stehen. Die Figuren der Oper kommen aus dieser Masse herausgelaufen, gesprungen, gekrochen. Dieses reduzierte Bühnenbild wirkt aber doch sehr statisch und würde kaum tragen, wenn man dem nichts entgegensetzte. Kosky weiß dies und führt mit einer sehr feinen und gut durchdachten Personenregie durch das ohne hin auf 90 Minuten zusammengestrichene Stück.

Corinne Winters ist eine hinreißende Kátia

An erster Stelle ist die hinreißende Corinne Winters als Titelfigur zu nennen. Die amerikanische Sopranistin ist heuer d i e Entdeckung in Salzburg. Ihre dunkel timbrierte Stimme ist wie gemacht für große und leidenschaftliche Frauenrollen. Und eine solche ist Kátia. Winters gestaltet sie mit großer Emotionalität und tief empfundenem Sentiment. Zudem agiert sie körperlich exzessiv. Der Regisseur zeichnet sie von Anfang an als Außenseiterin abseits der Gesellschaft. Er lässt sie wie außer sich von einer Seite der langen Bühne auf die andere rennen, ihren Mann anspringen, wie es freudige Kinder tun. Immer wieder wirft sie sich zu Boden. Von Erotik aufgeladen gestaltet sie das letzte Treffen mit ihrem Liebhaber Boris. In ihrem Spiel mit den Händen liegt so viel Zärtlichkeit und Ergebenheit wie in seinem Spiel mit ihrem Haar. Da freut man sich über die Details der Personenregie.

Evelyn Herlitzius als gefühlskalte Schwiegermutter

Die lässt Kosky auch ihrer großen Gegenspielerin, der Schwiegermutter, Kabanicha, zuteilwerden. Sie ist eine strenge Patronin in Hosenanzug, Kostüm oder blauen Trench (Kostüme: Victoria Behr), immer mit Gehstock, den sie aber kaum als Stütze, sondern als Instrument des Drohens und Drangsalierens verwendet. Mezzosopranistin Evelyn Herlitzius gibt sie als herrische und gefühlskalte Frau, die ihre Befehle an den Sohn und die Rügen an die Schwiegertochter mit eiserner und unbewegter Mimik singt. Spitz, schrill, überdeutlich artikulierend schießt sie ihre Töne heraus. Etwas lockerer wird sie mit ihrem Liebhaber Dikoj, den sie aber in Domina-Pose beherrscht und der wie ein Hund in roter Unterhose am Boden hinter ihr her kriecht und mit einem Würstchen abgespeist wird. Jens Larsen fügt sich ganz großartig in diese Rolle, die weniger SM-mäßig, sondern eher komisch angelegt ist.

Die dritte Frau in dieser Familienaufstellung ist die unbekümmerte Varvara, Kátjas junge Freundin, mit der sie sich in ihre Mädchenzeit zurückversetzt und von einer erfüllten Liebe träumt. Sie, die wie ein Ball und im Supermini mit Pferdeschwanz wie ein Kind auf der Bühne herumspringt, wird Kátia den Schlüssel zur Gartentüre verschaffen. Jarmila Balážová überzeugt mit frischem Spiel und einem jugendlichen Sopran.

Harmonieren stimmlich und darstellerisch: Corinne Winters (Kátia) und David Butt Philip (Boris). © SF / Monika Rittershaus

In der Männerriege ist an erster Stelle der Tenor David Butt Philip, ein jugendlicher lyrischer Tenor mit schöner und ausdrucksstarker Stimme und ein glaubhafter Sängerdarsteller. Stimmlich harmoniert er mit Winters sehr gut.

Kaufmann Tichon wird von Jaroslav Brezina interpretiert. Seine Rolle ist nicht fokussiert, so wie es das Stück vorsieht. Musikalisch setzt er sich durch.

Hruša präsentiert einen durchsichtigen Janáček

Der tschechische Dirigent Jakub Hruša gilt als Janáček-Spezialist und macht diesem Namen alle Ehre. Er präsentiert einen durchsichtigen Janáček, das Folkloristische in dessen Musik nicht überbetonend. Auffallend lang gestaltet er die Pausen. Die Wiener Philharmoniker folgen ihm gerne auf diesem Weg. Und auch der Chor, der einen ganz starkenMoment durch das unheimliche Murmeln der vorbeifließenden Wolga suggeriert: „Sollst sanft in meinen Armen schlafen“. Kátia springt. Ihr Mann fischt ihr blaues Kleid aus der Wolga.Und die Mutter lächelt kalt dazu.