„Passauer Sommernachtszauber“
Wer den differenzierten Orchesterklang am Samstagabend in Studienkirche St. Michael erleben durfte, der war gar nicht mehr gram, dass der „Passauer Sommernachtszauber“ – so der Titel der Abschlussveranstaltung der 71. Festspiele Europäische Wochen Passau – nicht im Grünen auf Oberhaus, sondern im geschlossenen Raum stattfand. Denn so brillant hätte man es per Verstärker open air einfach nicht erleben können. Zum dritten Mal musste der „Passauer Sommernachtszauber“ in der Studienkirche stattfinden.
Eines der innovativsten Orchester Deutschlands
Das Stuttgarter Kammerorchester erwies sich als wundervoll und differenziert musizierender Klangkörper. 1945 gegründet, gilt es als eines der innovativsten Orchester Deutschlands, es wurde 2022 das erste klimaneutrale Orchester Deutschlands und stellte im selben Jahr von Noten auf Tablets um.
Dies war gerade im zweiten Teil des Konzerts, als die Videokunst Lillevans Modest Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ illustrierte, besonders nützlich. Dies war natürlich der Höhepunkt des „Sommerzaubers“.
Farbenreichtum und große Klarheit
Dirigent Johannes Klumpp wählte nicht die bekannte Fassung von Maurice Ravel, sondern die Bearbeitung für Streicher von Jacques Cohen von 2009.
Die zehnteilige Programmmusik, die der russische Komponist nach dem Besuch einer Ausstellung seines Freundes, des Architekten, Bildhauers und Malers Wiktor Hartmann, als Klavierzyklus komponierte, gehört heute zu den beliebtesten Musiken im Orchesterrepertoire.
Das Stuttgarter Kammerorchester zeigt, warum dies so ist. Es lässt die Mussorgskische Klangwelt in ihrem Farbenreichtum und doch in großer Klarheit erstrahlen. Der hinkende Gnom ist herauszuhören, aber ohne grobe Übertreibung, die Charaktere der beiden Juden sind fein gezeichnet, die Katakomben der römischen Gruft werden von waberndem Geheimnis umgeben und der Triumphzug durch das Tor von Kiew gerät feierlich, aber ohne übertriebenen Pomp.
Videokunst funktionierte auch in der Studienkirche gut
Bei der Videokunst Lillevans fällt auf, dass er keinen Abklatsch der letztjährigen Veranstaltung, was vermutlich einfach gewesen wäre. Während die Videoschau von 2022 eher von vertikalem Duktus mit Kaskaden von imaginären Farb-Wasserfällen war, geht er dieses Mal mehr in die Horizontale. Punkte, Tupfen, amorphe Gebilde, häufig in warmen Farben bestimmen die visuelle Gestaltung. Ja, und wer genau hinsah, konnte auch zwei Bilder Wiktor Hartmanns erkennen, die exakt über das Altarbild der Studienkirche platziert waren: Bild Nummer 6: „Samuel Goldenberg und Schmuyle“ und Bild Nummer 8: „Die Katakomben. Römische Gruft“, auf dem Herren mit Zylinder wandeln. Zwei der wenigen Bilder von Hartmann, die erhalten sind. Für Lillevan wird es schon enttäuschend gewesen sein, dass die Show wieder nicht unter freiem Himmel gezeigt werden konnte. Aber er sagt auch: „Improvisation ist ein entscheidendes Arbeitsprinzip.“ In der Studienkirche St. Michael hat es jedenfalls gut funktioniert.
Ein Dirigent, der die Musik mit seinem ganzen Körper lebt
Der Star des Abends war Johannes Klumpp. Der Dirigent lebt mit seinem gesamten Körper die Musik. Wie elektrisiert leitet und animiert er immer wieder seine Musiker, tänzelnd, energisch und keine Sekunde unkonzentriert, stets auf die Musik fokussiert.
Dies konnte man schon im ersten Teil in Ottorini Respighis Suite Nummer aus „Antiche danze ed arie per liuto erleben“ und erst recht im Jugendwerk Felix Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert d-Moll. Wie exakt und aus einem Guss die Musiker vor allem seinen Angaben zur Dynamik folgen, das ist schon phänomenal. Der junge Geiger Yu Zhuang überraschte mit seinem technischen Können. Als Solist muss sich der 2. Konzertmeister im Stuttgarter Kammerorchester noch freispielen.
Die 71. Festspiele endeten mit einer verdienten Mitarbeiterehrung; eine sehr schöne Geste, die aber etwas knapper gehalten werden könnte.
Ja, dann kam der Knüller zum Schluss: Die Vertragszeit von Intendant Carsten Gerhard wurde um fünf Jahre verlängert. Da ist noch Spannendes zu erwarten!
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