Wagner-Begeisterung am Landestheater hält an: „Tannhäuser“ bei den Burgenfestspielen
Glückhaft ist an diesem Premieren-Abend des Landestheaters Niederbayern vieles: vor allem eine hervorragende Sängerriege und eine bestens disponiertes Niederbayerische Philharmonie. Und natürlich die Grundvoraussetzung für die Burgenfestspiele Niederbayern auf Veste Oberhaus: beständiges Wetter. So kommen denn über 400 Besucher – also viele Schönwetter-Gäste – zur Premiere von Richard Wagners romantischer Oper „Tannhäuser oder der Sängerkrieg auf Wartburg“, komponiert 1845.
Fortsetzung der erfolgreichen Wagner-Produktionen
Damit setzt das Landestheater seine sehr erfolgreiche Produktion von Wagner-Opern fort.
Als Regisseur holt Intendant Stefan Tilch seinen Vorgänger Johannes Reitmeier, zuletzt Intendant am Landestheater Tirol in Innsbruck und jetzt freier Regisseur. Der gebürtige Kötztinger, der u. a. auch den „Fliegenden Holländer“ für die Burgenfestspiele inszenierte, ist für seine stringenten und fantasievollen Inszenierungen bekannt.
Diesmal war und schien vieles anders.
Leading Team ist krank
Anders vor allem war, dass sich der Regisseur an der Sehne verletzte, während der Proben operiert werden musste, aber mit eisernem Willen – im Rollstuhl arbeitend – bis zur Generalprobe blieb. Auf die schwer zugängige Burg konnte er jedoch nicht kommen. Anders war auch, dass sein Ausstatter Michael D. Zimmermann, verantwortlich für Bühne und Kostüme, ebenfalls schwer angeschlagen war und ins Krankenhaus musste. Gute Besserung an beide. Man hätte beiden den Erfolg eines begeisterten Publikums von Herzen vergönnt.
Anders schien vor allem die Inszenierung von Johannes Reitmeier. Als Theaterliebhaber, der viele seiner Inszenierungen gesehen hat, konnte man nur verwundert sein, dass ein toller Gedanke am Beginn der Inszenierung so völlig ins Leere lief . . .
Künstlerdrama und historische Wartburg
Wie sieht Johannes Reitmeier den Tannhäuser? Die Referenzpunkte finden sich in seiner Inszenierung: Zum einen ist da der Künstler und zum anderen die mächtige Wartburg, die im Titel stehen.
Die Wartburg wird nicht etwa durch Burgenkolorit, das ja ohnehin schon durch die Veste gegeben ist, greifbar, sondern als eine Reminiszenz an deren Historie. Der Landgraf Hermann von Thüringen hat ja dort nicht nur im Mittelalter bedeutende Minnesänger zum Wettstreit eingeladen, Jahrhunderte später, 1817, fand dort das erste Wartburgfest durch die Jenaer Burschenschaft statt.
Beim Sängerfest dieser Tannhäuser-Inszenierung bilden Burschenschaftler das Publikum, ausgerüstet mit Mütze und Schärpe sowie den obligatorischen Degen dieser schlagenden Verbindung. Ebenso ist der Landgraf zugehörig. Auch die Künstler bekennen sich – via Kostüm – als solche, ausgenommen Tannhäuser.
Der zweite Erzählstrang ist das Künstlerdrama, um Tannhäuser, der den verbotenen Venusberg besucht und eine andere als die im Mittelalter gepriesene „hohe Minne“ kennt, nämlich die sinnliche Liebe.
Einheitsbühnenbild mit viel Lichtregie
Reitmeier stellt das alles – mit einem 32-köpfigen, exzellenten Chor (einstudiert und während der Vorstellung an der rechten Bühnenseite dirigiert von R.-Florian Daniel) in wuchtigen Bildern und viel perfekt ausgedachter Lichtregie auf die Bühne. Das Bühnenbild besteht aus einem Notenrahmen, einer rückwärtigen Notenwand, die sich für Auftritt und Abgang öffnet und seitlich angedeuteten Prospekten, die ebenfalls mit Notenschrift überzogen sind. Er braucht nicht viele Requisiten. Ein Flügel, paar Stühle und Notenständer – was schon aus der mittelalterlichen Musiktradition in die Neuzeit weist, ebenso die Stimmgabeln oder waren es Stifte?, die die Sänger in Händen halten. Dann gibt es noch viele, viele Notenblätter – in den Händen der Sänger und des Chores.
Die erste Szene ist die überraschendste: Die Ouvertüre ist mit einem Bild unterlegt: In sonniges Gelb gekleidete Menschen mit Strohhüten und Sonnenbrillen sitzen erwartungsvoll da. Menschen von heute, Sommergäste, Besucher der Wartburg, Touristen aus aller Herren Länder . . . Das alles kann man assoziieren . . . Und eben diese pfiffige Idee geht verloren.
,Elisabeth (Yitian Luan) mit Ensemble. © Landestheater Niederbayern/Peter Litvai

Doch das scheint nur so! Denn die veröffentlichen Bühnenfotos sprechen eine andere Sprache: Da sitzen die Touristen vom Beginn am Ende als Publikum im Konzert und lauschen, studieren die Noten oder ein – im 19. Jahrhundert aufkommendes – Programmheft (das ist nicht zu erkennen) und applaudieren dem Dirigenten alias Tannhäuser und schließlich Wolfram. Der heutige Sänger wird im vorgerückten Alter ja auch gerne Dirigent. Damit schließt sich der Kreis zum ersten Bild, und die Inszenierung bekommt ihre Abrundung, landet in der Jetztzeit. Touristen beim Sommerkonzert auf der Wartburg – wie sie dort übrigens jedes Jahr veranstaltet werden.
Was ist passiert? Welche Panne ist geschehen? Konnten die Kostüme nicht schnell genug gewechselt werden? Die Pressesprecherin wusste bisher keine Antwort. Im Sinn der nächsten Tannhäuser-Abende sollte dies schnell geklärt und behoben werden!
Das ist ein bitterer Wermutstropfen für die Regie.
Mischfassung mit 60 Musikern
Dem Jubel des Publikums tut es keinen Abbruch; auch nicht der musikalischen Seite dieser Oper.
Gespielt wird eine Mischfassung mit 60 Musikern, also einer aufgestockten Niederbayerischen Philharmonie, die Generalmusikdirektor Basil H. E. Coleman vorsichtig durch die Klippen der Partitur führt. Viel Subtilität liegt gerade in den langsamen Tempi. Im großen Innenhof der Burg läßt er die Bläser als Fernorchester an der Seite oder hinten spielen, was effektvoll ist. Die großen bekannten Nummern präsentierr er mit voller Kraft; die Technik – die Sänger haben Mikroports – ist allerdings zu laut gestellt; die sich am Flügel räkelnde Venus muss leider, ebenso wie der Zuhörer, harsche Nebengeräusche hinnehmen.
Ausgefallene Personenregie

Es ist ein wunderbares Fest der Sänger. Die Lyra des Orpheus möchte man an diesem Abend Yitian Luan als Elisabeth und Peter Tilch als Wolfram von Eschenbach überreichen. Kraftvoller Glanz liegt in Yitian Luans Sopranstimme (wunderschön: ihre Hallen-Arie) und doch vermag sie auch eine sanfte und seelenvolle Magie zu intonieren, wenn es um ihre Liebe geht. Intensiv ist die Darstellung der Seelenqual der Elisabeth, die zudem durch ein prächtiges Bühnenkostüm hervorsticht. Am Ende wird ihrem Todeswunsch nachgeholfen. Nicht Maria erfüllt ihn, sondern sie selbst, indem sie sich vergiftet.
Eine ausgefallene Personenregie gibt es für Elisabeth und Wolfram, der in vielen Inszenierungen etwas bescheiden im Hintergrund steht. Hier nicht: Seine unerwiderte Liebe zu Elisabeth ist offensichtlich. Peter Tilch gibt den Dichter-Konkurrenten als echten Charakter, der sich schon im Sängerstreit zu behaupten weiß. Sein farbenreicher, lyrisch wunderschön strömender Bariton hat seinen Höhepunkt in das von den Zusehern schon ersehnte „Oh, du mein holder Abendstern“. Dass er am Schluss das Dirigat des toten Tannhäuser übernimmt, ist logisch konsequent.

Dem georgischen Tenor Zurab Zurabishvili, Gastsänger, ist seine Professionalität als Sänger und Darsteller des Tannhäuser von der ersten Sekunde anzusehen. Er agiert ganz als ein Künstlertyp, wie man ihn seit der Renaissance kennt – auf sich bezogen, während die anderen Bewerber um „Song-Contest“ sich unter die Gruppe der Burschenschaftler einordnen. Eine klare Präzisierung der Regie. Zurabishvili, der die Partie bereits am Theater Košice (Slowakei), am Staatstheater Meiningen und am Aalto-Theater Essen gesungen hat, haushaltet klug mit seinen stimmlichen Kräften, hält sich am Anfang eher zurück, steigert sich solide, um dann eine bestens gestaltete und erschütternde Rom-Erzählung zu präsentieren.
Reinhild Buchmayer gibt ihr Debut als stimmlich funkelnde Venus. Die Antagonistin zu Elisabeth ist in helles Korallenrot gekleidet. Stimmgewalt zeichnet sie eben so aus, wie ein umgarnendes und schließlich auch wütendes Spiel, als sie Tannhäuser nicht halten und später auch Wolfram nicht bezirzen kann. Ihre ausgeprägte und manieristische Gestik mit den Händen ist wohl von der Kunstgeschichte inspiriert, wird die Figur doch u. a. bei Cranach, Botticelli, Canova und Boucher so dargestellt. Ja, und dann gibt es noch die sogenannte Venus-Hand, die allerlei Assoziationen zulässt . . . Für Reinhild Buchmayer ist es ein tolles Debüt.
Die Riege der Minnesänger in diesem „Contest“ ist bestens aufgestellt: Jeffrey Nardone als Walther von Vogelweide, Kyung Chun Kim als Biterolf, Edward Leach als Heinrich der Schreiber und Albin Ahl als Reinmar von Zweter.
Heeyun Choi spielt mit seinem wohltönenden Bass einen huldvollen Landgrafen und überzeugt gleich zu Beginn in der hübsch inszenierten, bewegungsreichen Jagdszene. Emily Fultz singt mit glasklarem Sopran den jungen Hirten.
Wie wird der Venusberg?
Die spannendste Frage vor Beginn des Abends war bei den Zuschauern, wie Johannes Reitmeier den Venusberg inszenieren würde, denn da hatte man schon viel Orgiastisches, Schwülstiges in düsterer oder mystischer Atmosphäre oder auch im nächtlichen Rotlicht-Viertel gesehen. Wie soll das aber bei Bei denTageslicht und Sonnenschein open air gehen? Da findet der Regisseur eine gute Lösung, die einmal mehr zeigt: Tannhäuser ist ein moderner Künstler. Liebe, Lust, Leidenschaft: Das geht auch in einem Künstlerzimmer mit Flügel, zwei Sektgläsern und Schampus.