Ein Abend der Superlative mit Kent Nagano

Verdis „Requiem“, dirigiert von Kent Nagano bei den 72. Festspielen Europäische Wochen Passau. © Carsten Gerhard

Europäische Wochen:  Verdis „Requiem“ im Passauer Stephansdom

Ohne Zweifel war dieser Konzertabend am Sonntag im Hohen Dom zu Stephan in Passau der Höhepunkt nicht nur der 72. Festspiele Europäischen Wochen, sondern des klassischen Konzertlebens in Passau: Giuseppe Verdis „Requiem“, vor 150 Jahren in Mailand uraufgeführt. Fulminant war die  Besetzung: Kent Nagano dirigierte den Abend. Seit der Spielzeit 2015/16 ist er Generalmusikdirektor und Chefdirigent der Hamburgischen Staatsoper und Hamburgischer Generalmusikdirektor des Philharmonischen Staatsorchesters. Mit ihm kamen nach Passau eine  Elite an Musikern, Sängern und Chor: Das Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das in der Rangliste der zehn besten Orchester der Welt Platz 3 belegt; dann wundervolle Solisten, die auf den bedeutendsten Bühnen der Welt zu Hause sind: Elina Garanča (Mezzosopran), Liudmyla Monastyrska (Sopran), Francesco Meli (Tenor) und René Pape (Bass) sowie die Audi Jugendchorakademie, geleitet von dem gebürtigen Passauer Musikprofessor Martin Steidler. Der 2007 gegründete Chor hat bereits mehrmals mit Kent Nagano zusammengearbeitet.

1000 Besucher

Das Konzert mit 1000 Besuchern war schon seit Monaten ausverkauft. Dem Publikum wurde in diesem besonderen Barockraum mit der modernen silber-farbenen Steinigungsgruppe von Josef Henselmann als Altar der Gegensatz von prallem bunten Leben und einsamen Tod besonders bewusst. Denn genau diesen Gegensatz beschwor der italienische Opernkomponist in seinem einzigen Oratorium herauf.

Archaischer Ernst und dramatische Theatralik

Hochkonzentriert: Dirigent Kent Nagano. © Sebastian Ambrosius

Kent Nagano ist einer der markantesten Dirigenten der Welt. Warum das so ist, konnte man in Passau gut beobachten. Er bezog zu jeder Sekunde seine Mitmusizierenden ein. Die Interaktion mit Musikern und Chor war perfekt. Nagano ließ sich ganz und gar auf die Partitur des Italieners ein. Das Spannungsfeld lag zwischen archaischem Ernst, dramatischer Theatralik und einer Spur Italianità, die bei seiner Interpretation des sakralen Werks zum Glück nie überhanden nahm. Besonders fein arbeitete er den reichen Empfindungsgehalt dieser Totenmesse heraus. Naganos Pianissimo-Kultur war unglaublich facettenreich. Tempi und Dynamik changierten zwischen expressiv und lyrisch getragen. Großartig wie das Orchester aus einem kaum hörbaren Pianissimo am Anfang große Klangräume aufbaute. Der Höhepunkt wurde in dem gewaltigen brausenden Dies-irae-Motiv gefunden, das immer wieder aufflammt. Ergreifend auch das Streichertremolo im „Lux aeterna“.

Berührende Momente und eine Sternstunde

Jubel für die Solisten und den Dirigenten (v.l.): René Pape, Francesco Meli, Liudmyla Monastyrska, Elina Garanča und Kent Nagano. © Sebastian Ambrosius

Es gab so viele berührende Momente an diesem Abend. Als eine Sternstunde kann man das „Agnus dei“ der Ukrainerin Liudmyla Monastyrska und der Lettin Elina Garanča bezeichnen. Der große Farbenreichtum der Sopranistin und die voluminöse Tiefe der Mezzosopranistin bildeten einen solch eindringlichen Monolog, der schaudern ließ. Zwei weitere Höhepunkte der Sängerinnen: Das ängstliche-qualvolle „Liber scriptus“  von Elina Garanča und das eindringliche „Libera me“ von Liudmyla Monastyrska am Ende. Der Italiener Francesco Meli mit gutgeführter eleganter Stimme begeisterte durch sein Pianissimo und seine Ausgewogenheit zwischen dramatischer Attitüde und tiefgefühlter Andacht. Der deutsche Bass René Pape war absolut versiert in dieser Partie. Besonders eindrucksvoll war sein „Mors stupebit“ mit tiefgefühlter Angst vor dem ewigen Richter.

Jubel auch für Audi Jugendchorakademie

Brillierte: die Audi Jugendchorakademie, die von Martin Steidler geleitet wird. © Sebastian Ambrosius

Ein Großteil des Jubels am Ende galt der Audi Jugendchorakademie aus Ingolstadt unter Martin Steidler. Die Sänger begeisterten mit makelloser Tongebung und breiter Ausdruckspalette. Der vierstimmige Chor hatte im „Sanctus“ als Doppelchor seinen Höhepunkt.

Ein beseligtes Publikum verließ den Dom, wo es durch Musik und Architektur ein echtes Gesamtkunstwerk erlebt hatte. Wer da war, wird diese Abend nie vergessen!

Für die Musiker gab es noch einen Empfang. Stargast Elina Garanča musste sofort zum Flughafen. Sie beginnt heute eine Asien-Tour.