Schmäh, Charme und Ironie: „Geh heim und vergiss Deine Sorgen!“
Fast kann man eine analoge Situation wähnen: die 1930iger Jahre und heute: Krieg und Krise vor der Tür, die Sehnsucht nach heiler Welt im Herzen. Was liegt da näher zu einer Operette wie „Im weißen Rößl“ von Ralph Benatzky zu greifen? Operettenhits en masse, Liebespaare in drei Varianten, Touristen auf die Schippe genommen, ein grantelnder Alter, ein komischer Schmetterlingsjäger, jede Menge Folklore, ein kaiserlicher Aufritt – und natürlich ein Happy end für alle. Das ist das bewährte Strickmuster der Operette.
Das Landestheater Niederbayern setzt auf dieses Gute-Laune-Stück und präsentiert es als seine erste Premiere der Saison 2022/23. Am Samstag war Premiere in Passau.
Zwei alte Theaterhasen
Man holte sich Dirigent Kai Röhrig aus Salzburg, der die erst 2006 wiederentdeckte Urfassung der Musik von 1930 wählte, und den langjährigen Intendanten des Pfalztheaters Kaiserslautern, Regisseur Urs Häberli. Zwei alte Theaterhasen, die wissen, dass man in der Operette hohe Sprünge machen muss, um im Herzen der Zuschauer zu landen. Nicht kleckern, sondern klotzen – das war die Devise an diesem Abend. Sie zahlte sich aus. Mit viel Schmäh, Kitsch und Folklore spielt und tanzt sich das Ensemble in die Gunst des Publikums.
Die Bühne von Marcel Zaba, der auch für die Kostüme verantwortlich ist, zeigt die Hotelkulisse ebenso wie das Alpenpanorama und den See. Mittels Drehelementen können die gastlichen Stätten rasch in Grünlandschaft mutieren. Ansonsten trägt die Lichtregie die Stimmungen des Abends, von blutrotem Sonnenuntergang, über schaurig-komisches Gewitter bis zum romantischen Schlussbild, in dem Sterne wandern. Eine Discokugel fehlt auch nicht. Denn die Touris, die per Austria Express und Dampfer ins Salzkammergut kommen, sind ausgestattet mit Petticoat und Tupfenkleid oder mit Fußball-Trikot. Nur im Salzkammergut ist man noch traditionell unterwegs mit Dirndl, Lederhosen und Wams. Genau dieser Gegensatz zwischen den Städtern und den Einheimischen bringt den Witz, und die spritzigen Dialoge tragen dazu bei.
Ansprechende Massentableaus, detaillierte Personenregie
Urs Häberli gestaltet einerseits ansprechende Massen-Tableaus, andrerseits gerade bei den Paar-Beziehungen eine feingliedrige Personenregie. Die Regie sprüht geradezu vor Ideen, die dann schon auch mal als Ironie oder Trash gelesen werden können, wenn der Schmetterlingssammler ein hübsches weibliches Exemplar fängt und mit Gaze umwickelte Menschen als Bäume dienen. Und auch der Freilichtmaler mit seiner Staffelei darf in dieser Alpen-Idylle nicht fehlen.
Lob an Einspringerin Jenifer Lary
Die Eigenschaften der Touristen werden ebenso auf die Schippe genommen, wie die der Einheimischen. Im Zentrum steht freilich die Liebe! Ein besonderes Lob gebührt der Einspringerin Jenifer Lary, die die erkrankte Emily Fultz vertrat. Als Ottilie, Tochter des Korsagenkönigs Wilhelm Giesecke, fand sich die Sopranistin beachtlich gut in die Inszenierung ein und legte mit ihrem Herzkönig Dr. Siedler auch eine kesse Sohle aufs Parkett. Roman Pichler verlieh diesem mit schöner Stimme einen kräftigen Schuss Sentiment; wie er tänzelnd seine Angebetete umschwirrt, das hatte etwas von dem Balztanz eines Vogels. Mit viel Ironie ausgestattet ist auch die Partie des schönen Sigismund, der in seinem Strampler wie ein Riesenbaby da stand. Der Bassbariton Miroslav Stričević begeisterte durch gute Bühnenpräsenz und Spielfreude. Sein Klärchen sang und lispelte Claudia Bauer – sehr erfrischend!
Vom Zahlkellner zum Ehe-Kellner
Das wichtigste Paar in diesem Liebesreigen ist natürlich Wirtin Josepha und Zahlkellner Leopold. Die Salzburger Sopranistin Reinhild Buchmayer ist eine ideale Besetzung – eher spröde als süßlich, eher pragmatisch als romantisch, gesanglich wie stets top und erst einsichtig als ihr der Kaiser höchstpersönlich klar macht „S’ist einmal im Leben so, andern geht es ebenso“ – und sie sehen muss, dass ihr Mr. Right mit Ottilie in den Büschen verschwindet. Zahlkellner Leopold hat in Tenor Daniel Preis einen feinsinnigeren Interpreten als man ihn aus anderen zum Teil überdrehten und klamaukhaften Produktionen und Filmen kennt. Der verliebte Mensch ist hier im Mittelpunkt, der gern und freiwillig zum lebenslänglichen Ehe-Kellner wird.
Klamauk gehört dagegen zum Fabrikanten Giesecke, den der berlinernde Peter Tilch amüsant spielt, sei es durch seine Miesepeterei oder durch die Versuche beim Schuhplattler. Bassbariton Kyung Chun Kim spielt eine andere Art von Tourist, den Schmetterlingsfänger, der hier sanft schrullig gezeichnet ist.
In weiteren Rollen fielen auf: Valentin Brunner als gewiefter und altkluger Piccolo, Markus Biber als konfuser Bürgermeister und Tony Obermayer als gutmütiger Kaiser.
Chor bewährte sich in anspruchsvoller Choreografie
Nach den fast chorlosen Pandemie-Jahren gibt es hier wieder einen vielköpfigen Chor, einstudiert von Eleni Papakyriakou. Er ist allerdings manchmal zu laut und in der Artikulation nicht immer deutlich. Auch bei Texten, die jeder kennt, sollte nicht geschlampt werden. Bravourös hat sich der Chor in der anspruchsvollen Choreografie von Sunny Prasch bewährt.
Schlanker und durchsichtiger Klang
Der Lorbeerkranz gilt an diesem Premierenabend Kai Röhrig und der Niederbayerischen Philharmonie. Der Dirigent führte beherzt und elegant durch diese Fassung, die – trotz Reprisen – schlanker und durchsichtiger klang als spätere Bearbeitungen. Der rasche Wechsel der verschiedenen Tänze – von Landler, Marschmusik, Polka bis zu Walzer und Jazz-Dance – macht richtig Spaß.
Und schließlich trat das ein, wovon die Operette erzählt: „ . . . geh heim und vergiss deine Sorgen!“
Ja, das ist schon sehr viel in diesen Zeiten!
Weitere Vorstellungen:
In Passau: 14., 15., 20., 21., 22. Oktober, 19., 20. November, 30., 31. Dezember, 25., 26. März 2023, 17., 18. Juni
Theaterkasse: Tel.: 0851 / 929 19 13
theaterkasse@passau.deIn Landshut: 7., 8. Oktober, 12., 13. November, 4. Dezember, 29. Januar 2023, 3., 4., Februar, 8. Juni
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In Straubing: 11. Oktober, 4. April 2023
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