Der Experimentierer Lothar Fischer

Legendäre Tänzerin in kühner Formsprache: „Salomé II.“, Bronzze 1961. © Edith Rabenstein

Museum Moderner Kunst Passau zeigt „Papiere und Plastiken“  zum 90. Geburtstag

 

Lothar Fischer wurde die Kunst in die Wiege gelegt: Der Vater war Bildhauer, die Mutter Malerin. In Rheinland-Pfalz 1933 geboren, fand er in Neumarkt in der Oberpfalz seine zweite Heimat. Dort befindet sich seit  2004 das Museum Lothar Fischer, in dem ein großer Teil seines Lebenswerks und seines Nachlasses gezeigt wird.

Alle Leihgaben aus dem Museum Lothar Fischer

Zu seinem 90. Geburtstag präsentiert das Museum Moderner Kunst Lothar Fischer, der zu einem der  bemerkenswertesten und bekanntesten Bildhauern der Nachkriegszeit avancierte. MMK-Museumsdirektorin Dr. Marion Bornscheuer arbeitete mit der Direktorin des Museums Lothar Fischer, Dr. Pia Dornacher,  zusammen und so sind alle Exponate in der Passauer Ausstellung Leihgaben aus dem Museum aus der Oberpfalz.

Zeichnungen und bildhauerische Arbeiten sind zu sehen. Für Lothar Fischer war beides gleich wichtig. 1991 schrieb er in einem Text über das Zeichnen: „Zeichnen ist für mich eine fast tägliche Übung und begleitet seit Jahrzehnten meinen bildhauerischen Weg. Zeichnen und Realisieren von  Skulpturen haben für mich gleichrangige Bedeutung.“

Wie sehr der Künstler, der in München zunächst Kunsterziehung bei Anton Maxmüller studierte und dann in Bildhauerklasse von Heinrich Kirchner wechselte und schließlich dessen Meisterschüler wurde, mit den Topoi der Kunstgeschichte vertraut war, zeigt gleich der erste Raum: Hier begegnen wir einem Rückenakt (Tuschpinsel auf Papier, 1956/57). Die Dynamik des Blattes besteht nicht nur aus der Pinselführung, sondern auch aus dem Kontrast von sehr dickem und sehr zartem Strich. Korrespondierend dazu wird eine „Liegende I.“ (Bronze geschabt, 1956 gezeigt. Die Betonung des weiblichen Gesäßes zeigt schon, dass es Lothar Fischer nicht auf die naturgetreue Darstellung ankommt.

Künstler arbeitet gegenständlich

Aber: Lothar Fischer gehört zu der Generation, die das Abstrakte ablehnen und gegenständlich arbeiten, wenngleich er auch mit dem Informel experimentiert.

Das zweite große Thema in diesem Saal sind Tiere: „Ziege“ (Kohle auf Papier, 1957), „Katze“ (Tuschpinsel auf Papier, 1957), „Hund“ (Gouache auf Papier, 1957) sind beste Beispiele für sein zeichnerisches Können. Besonders dynamisch ist der „Polospieler“ (Bleistift auf Papier, 1957).

Die dazu platzierten bildhauerischen Arbeiten zeigen, dass er in dieser Disziplin reduzierter arbeitet, z. B. „Kleiner sitzender Hund“ (Bronze, 1957, Unikat).

Kühne Formensprache: „Salome“

Ohne Titel, (Salomé), Kohle- und Tusche-Zeichnung, laviert auf Papier, 1961.    © Edith Rabenstein

 

 

Besonders sticht in diesem 1. Raum eine Bronze ins Auge: „Salome II.“ von 1961. Er entwickelt hier für die legendäre Tänzerin eine kühne Formsprache. Sie balanciert mit einem Bein auf einer Plinthe und reckt das andere in Luft. Die berühmten Schleier ihres Tanzes sind angedeutet, ebenso das sinnlich Gesicht; ihre Hand scheint sie dem Betrachter entgegen zu strecken- Das Thema bearbeitet er auch in einer Kohle- und Tusche-Zeichnung, laviert auf Papier von 1961. Hier sieht man nicht nur die Tänzerin, sondern Johannes im Hintergrund und eine Schale; den Kopf des Johannes wird sie der Legende nach auf dieser Schale als Lohn ihres Tanzes fordern und erhalten. Hier ist auch Schrift als Bedeutungsträger im Bild eingesetzt.

Gruppe SPUR

Die Schau geht natürlich auch auf die Künstlergruppierungen ein, denen Lothar Fischer angehörte. Zunächst war da die Gruppe SPUR. Ende 1957 nimmt er gemeinsam mit den späteren Protagonisten der Gruppe SPUR an der „Atelierschau der Gruppe junger Künstler im Pavillon Alter Botanischer Garten in München teil.  Er wurde Mitbegründer von SPUR und Mitgestalter von 1957 bis 1965. Die Gruppe fiel im Kunstbetrieb durch ihre theoretischen Schriften und Aussagen („Wer Kultur schaffen will, muss Kultur zerstören“) auf. Auch gab es einen Prozess wegen Gotteslästerung. Lothar Fischer war allerdings darin nicht involviert, da er zum damaligen Zeitpunkt in Rom war.

Die hier ausgestellten  Werke aus dieser Zeit zeigen, dass Lothar Fischer die Formensprache des Kubismus aufnimmt, z. B.  in den Bronzen „Romeo und Julia“ von 1963 oder „Bewaffnete Kanne“ von 1962.

„Romeo und Julia“, Bronze, 1963. © Edith Rabenstein

In den Paar-Darstellungen auf Papier kann man die Auseinandersetzung mit Max Beckmann erkennen.

Gruppe GEFLECHT

Ab 1965 stellte sich SPUR selbst in Frage, formierte sich um zu SPUR WIR und schließlich zu GEFLECHT. Die Künstlergruppe gab es nur zwei Jahre, von 1966 bis 1968. Farbräumliche Antiobjekte entstanden in dieser Zeit. Die Künstler wollten sie nicht als dekorative Elemente auf der Wand verstanden wissen.

Eines dieser Objekte von Lothar Fischer ist zu sehen: „Op-Bob“ (1966). Ein Beispiel, wie sehr künstlerische Intention und Rezeption in späteren Jahren auseinanderklaffen. Denn die dynamische und farbenfrohe Plastik ist äußerst dekorativ!

„Op-Bob“, GEFLECHT-Objekt, Holz bemalt, 1966. © Edith Rabenstein

Aus seiner GEFLECHT-Phase sind auch einige Arbeiten auf Papier zu sehen, die den Namen der Gruppe thematisieren und lineare Geflechte zeigen z. B. zum Thema Auto oder Paar.

Phase Pop Art

1966 verließ Lothar Fischer die Gruppe GEFLECHT und wandte sich der Pop Art zu.

Der Siebdruck „Emanation“ (1968) steht ganz unter dem Stern von Andy Warhol. Die „Kleine Tube“ (Bronze, 1968) erinnert ebenso an die Sprache der Webegrafik.

Eines der größten und auffallendsten Objekte ist das „Mädchen im Bad“ (Ton, bemalt und lackiert, 1967), das es auch als Motiv auf Papier gibt. Kokett streckt es die Beine empor; ein zweiter Torso assoziiert einen Betrachter; witzig sind die Badeutensilien am Rand der Wanne.

„Mädchen im Bad“, Ton, bemalt und lackiert, 1967.
© Edith Rabenstein

Wie vielseitig und experimentell er arbeitet, wird durch weitere Objekte präsentiert. So sind Werke aus der Phase „Hüllenplastiken“ zu sehen sowie aus der „Idol-Phase“. Fantasievolle Tuschpinselzeichnungen ab 1975 präsentieren einen spielerischen Lothar Fischer.

Formstrenge und Längung

Seine Plastiken im Spätwerk zeichnen sich durch Formstrenge und Konzentration aus. „Schmaler Kopf“, der eine Hommage an Michael Croissant, (Eisen 1984/2002) ist eine gelängte Plastik, ebenso die hohe Figur „Große Domina Lubeca“ (Eisen, 1990).

Lothar Fischer hat die Eröffnung seines Museums leider nicht mehr erlebt, Der documenta-Künstler starb vier Tage vor der Eröffnung.

Die Ausstellung zeigt auch, wie wichtig Pflege und Erhaltung eines Künstlernachlasses in einem der Öffentlichkeit zugänglichen Haus sind. Denn nur dann ist es möglich durch Kooperationen und Leihgaben den Künstler im kollektiven Bewusstsein zu erhalten – auch dafür ist die gut gestaltete Ausstellung im Museum Moderner Kunst ein ausgezeichnetes Beispiel.

Die Ausstellung geht bis 11. Juni im MMK, Bräugasse 17 und ist geöffnet täglich außer Mo. von 10 bis 18 Uhr;

  1. April, 18 Uhr, Film: „Gruppe SPUR – Die Maler der Zukunft“
  2. Juni, 11.30 Uhr: Direktorinnen-Führung mit Dr. Marion Bornscheuer, MMK und Dr. Pia Dornacher, Museum Lothar Fischer