Surreales Projekt: „Der Untergang des Hauses Usher“

Eine gespenstische Stimmung herrscht im Haus Usher v.l.: William (Paul Behrens), Roderick (Joachim Vollrath) Krankenschwester (Friederike Baldin). Davor liegt die scheintote Madeline (Paula-Maria Kirschner). © Landestheater Niederbayern/Peter Litvai

Edgar Allan Poe am Landestheater Niederbayern

Edgar Allen Poe (1801-1849) ist der bekannteste amerikanische Schriftsteller der  sogenannten Schwarzen Romantik. Literaturwissenschaftler sehen ihn als Begründer des Genres Schauer- und Horrorliteratur. Die Erzählung „Der Untergang des Hauses Usher“ erschien erstmals 1839. Dramaturg und Regisseur Peter Oberdorf verwandelte den epischen Text in ein Schauspielprojekt, das am Donnerstagabend als Studioproduktion des Landestheaters Niederbayern in Passau Premiere hatte.  Oberdorf war für Regie, Kostüme und Licht verantwortlich.

Kostüm und Bühnenbild in Schwarzweiß

Schwarzweiß dominiert großenteils in der Optik.  Ein weißer Kubus, Symbol für das Haus Usher, das darauf in Schwarz projiziert war, mit einer Tür in die geheimnisvolle Welt dieses Adelshauses, ein weißer Vorhang von der Decke teilte die Bühne; die andere Seite mit einem schwarzen Sessel einem silbernen Kerzenleuchter mit schwarzen Kerzen zeigten das Hausinnere. Gleichzeitig waren die beiden imaginären Orte auch Symbole für die Außen- und Innenwelt ihrer Protagonisten.

Aus der Außenwelt  in die Innenwelt will William dringen, der vom Schlossherrn Roderick Usher, eingeladen worden ist, um ihn in seiner Krankheit beizustehen. Paul Behrens spielt William als zunächst arglosen und optimistischen jungen Adeligen, der nicht weiß, was auf ihn zukommt – bis er allmählich der Macht des Hauses zu unterliegen droht.

Joachim Vollrath als wahnsinniger Schlossherr

Einfach großartig ist Joachim Vollrath als wahnsinniger Roderick. Schon vom Kostüm wird er stilisiert: In engen schwarzen Hosen und langem Gehrock, polierten Lackschuhen und schulterlanger, blonder Perücke stellt er mit fahrigen Bewegungen, manchmal wie erstarrt, dann wieder nervenüberreizt emotional den Schlossherren dar, der weiß, dass er der Letzte seines Geschlechts ist. Er ist von Todesahnungen – und -sehnsucht umgeben. Bildlich dargestellt ist das in der ihm umschwirrenden Krähe (Isabella Könsgen). Mit Rabenkopf und einem gefiederten Kostüm sucht sie immer wieder seine Nähe, die auch durch eine Ähnlichkeit im Kostüm ausgedrückt wird: Roderick trägt ein gefiedertes Wams.

Der Rabe als Todesvogel

Allgegenwärtig ist die tanzende Krähe (Isabella Könsgen). © Landestheater Niederbayern/Peter Litvai

Mit der Einführung dieser Figur zeigt Peter Oberdorf ein typisches Motiv der Schwarzen Romantik und auch Poes: den Raben als Todesvogel, der fast stets gegenwärtig ist – auch in einer weiteren Hauptperson des Fünfpersonenstücks: Madeline Usher, die Schwester des Hausherrn. In ihrem weißen wallendem Kostüm bildet sie den optischen Gegenpart zum Bruder; dass sie beiden Welten angehört, wird u. a. auch dargestellt durch das Anziehen einer schwarzen Jacke.

Paula Maria Kirschner als bipolare Schwester

Inzestuöse Beziehung zwischen den Zwillingen Madeline (Paula-Maria Kirschner) und Roderick (Joachim Vollrath). © Landestheater Niederbayern/Peter Litvai

Paula-Maria Kirschner spielt diese Schwester, die in zwei Welten lebt, heute würde man sagen: Sie hat eine bipolare Störung. Mit zwei sich jäh abwechselnden Sprechhaltungen charakterisiert die Schauspielerin die kranke Zwillingsschwester Rodericks. Zum einen flötet sie fast mädchenhaften Tönen von besseren Zeiten, zum anderen erzählt  sie in tiefer gutturaler Intonation vom Leid und Fluch des Hauses. Liebevoll-zärtlich wendet sich Madeline („Die Lady ist die sanfte Antwort auf ihren Bruder“, sagt die Krankenschwester) zu; und spätestens da, weiß jeder wie die Aussage Rodericks von der „besonderen Liebe“ in der Familie, die keine Seitenlinien hat, gemeint ist. Es geht um Inzest. Auch eines der typischen Motive bei Poe, ebenso wie das lebendig Begrabensein.

Schwarzweiß ist die Krankenschwester gekleidet, die von Friederike Baldin, die sehr gut artikuliert, gespielt wird. Sie steht zwischen der Außen- und Innenwelt,  gerät aber immer mehr in den Sog der Familie und des Hauses. Als Sprechgesang intoniert sie Schuberts „Lied der Krähe“, das nicht passender sein könnte.

Surreale Stimmung und Lichtregie

Bemerkenswert ist die surreale Stimmung und die Lichtregie in diesem Stück. Licht wird in dieser Literatur als Spiegel der Seele gesehen und das „Licht aus der Vergangenheit“ zitiert. Lichteffekte und fahle Farben machen die Szenerie unheimlich und zeigen auch die seelisch zerrissene Gefühlslage, die sich auch in rasch in ein kräftiges Rot verwandelt, das Dramatik und Leidenschaft entstehen lässt. Nebelschwaden zaubern eine gespenstische Atmosphäre.

Romantische bis schaurige Momente beschert auch Klaviermusik (Elias Haslauer) mit Beethovens „Mondscheinsonate“ sowie Musiken von Schubert, Liszt und Scriabin. Das ist ein wichtiger Beitrag in diesem Schauspielprojekt; ebenso eingefügte Texte von Trakl und Novalis.

Verdienter Applaus für beeindruckenden Abend

Am Ende nimmt William die distanzierte Haltung des Erzählers ein, der von der Ferne sieht, wie das Haus Usher zusammenbricht und versinkt. Er ist davon gekommen. Sehr viel verdienter Applaus für diesen beeindruckenden Abend  von einem zu großen Teilen jungem Publikum.

Eine technische Sache ist an diesem Abend allerdings sehr, sehr  störend: Der laut brummende Beamer/Projektor, angebracht an der fürstbischöflichen Loge,  machte leider so manchen magischen Moment zunichte. Wie ein alter Kühlschrank in einem Hotel  schaltete er sich zwischendurch hoch und begann laut zu brummen; ein unpassendes summendes Dauergeräusch war ohnehin zu hören. Gerade im Sprechtheater, das auch von stillen und intimen Momenten lebt, stört dies extrem. In Zeiten modernster und leiser Technik geht das nicht mehr. Da sollte das Theater dringend moderne Technik kaufen. Wenn Wagner technisch sehr gut in der Dreiländerhalle geht, dann muss auch Schauspiel technisch sehr gut in unserem Stadttheater gehen!