„Le Villi“ und „Cavalleria Rusticana“ auf der Veste Oberhaus in Passau
Endlich unter freiem Himmel: Nachdem die Premiere der Burgenfestspiele Niederbayern Open Air den unsicheren Wetterverhältnissen zum Opfer gefallen war, fand die erste Vorstellung auf der Veste Obernhaus dann am Sonntag statt. „Le Villi“, der Opernerstling von Giacomo Puccini, und „Cavalleria Rusticana“ sind die diesjährige Produktion der Musikabteilung für die Burgenfestspiele – und wie gemacht für laue Sommerabende.
Denn es geht um große Emotionen, um die Liebe, die sich in Hass wandelt. Das Landestheater hat zwei Stücke zusammengespannt, die in der Regel nicht miteinander aufgeführt werden. Das ist ein Experiment – und zwar ein gelungenes. Denn es geht beide Male um den Verlust von Liebe.
Jürgen Pöckel erstmals Regisseur am Landestheater
Mit Jürgen Pöckel, der erstmals am Landestheater Regie führt, hat man einen sehr erfahrenen Regisseur geholt, der in aussagekräftigen Bildern denkt: Bei „Le Villi“ eher abstrakt und traumverloren; bei „Cavalleria rusticana“ mit Bezügen an das Italien der 50er Jahre. Pröckel gelingt es geschickt, die beiden Opern szenisch zu verbinden, einmal durch die Erzählerin, zum andern durch Wiederaufnahme des gelben Baums – und durch die Tänzerinnen.
Verbindungen zwischen den Opern
Annett Göhre, die erstmals die Choreografie am Landestheater einstudierte, lässt Muriel Bermejo, Kenzie Brusson, Sakura Inoue und Stella Perniceni in weißen bzw. weiß-grauen Kleidern expressiv tanzen. Einen besonderen Wert legt sie auf exaltierte Arm- und Handbewegungen. Diese kommen durch die Kostüme besonders gut zur Geltung, die an das „Triadische Ballett“ von Oscar Schlemmer erinnern.
Thematisch sind die Kurzopern ohnehin verbunden, weil es in beiden Musikstücken um verlassene Frauen und deren Rache geht.
„Le Villi“ – das Landestheater wählt die zweiaktige Fassung mit den bekanntesten Melodien – spielt im Schwarzwald. Der Regisseur wählt zum Glück keinen Schwarzwald-Kitsch auf Bühne, sondern verlegt die Handlung in einen abstrakten, von schwarzen Bühnenelementen und gelben Baumstümpfen, begrenzten Raum (Bühnenbild und Kostüme: Andrea Hölzl). Schwarz und Gelb sind hier die bestimmenden Farben. Gelb steht in der Farbenlehre für Heiterkeit, Wärme und Optimismus, aber auch für Neid, Egoismus und Eifersucht.
Abstrakte Orte
Ein beherrschendes Bühnenelement sieht aus, wie das beliebte Spiel aus Kindertagen: Himmel und Hölle – wie passend für die Liebe. Man kann es auch als riesige exotische Blume deuten; denn im Kleinformat trägt es die Verlobungsgesellschaft am Revers. Da wäre vielleicht das „Vergissmeinnicht“, beim Abschied der Verlobten aus dem Koffer geholt, passender gewesen…
Ebenfalls abstrakt hat der Regisseur die Bühne für „Cavalleria rusticana“ entwerfen lassen. Die Silhouette einer Kirche und weiße Kuben, die mal Häuser und mal den Kircheneingang symbolisieren; die Lichtregie verwandelt den Ort in verschiedene, kräftig ausgeleuchtete Dorf-Szenerien. Im Vordergrund steht ein gelber Baumstamm aus den „Villi“.
Was beide Opern weiter verbindet: Die Erzählerin, dargestellt von Sängerin und Schauspielerin Anna Veit. Wie eine Besucherin stolziert sie durch die Zuschauerreihen, scheinbar Platz suchend. Die Erzählerfigur ist übrigens von Puccini in seinem Erstlingswerk vorgegeben; Jürgen Pöckel verwendet sie auch für das zweite Stück und schafft so einen Rahmen. Anna Veit macht ihre Sache gut.
Vicent Romero als Roberto und Turrido
Überragend ist der lyrische Tenor Vicent Romero aus Spanien. Warmer Schönklang, flammende Dramatik und seidige Höhen sind für diesen Sänger mühelos. Erschütternd sein „Torna ai felici dì“, als Roberto in „Le Villi“ erkennen muss, dass die glücklichen Tage nicht mehr zurückkehren. Als Turrido ist er in „Cavalleria rusticana“ zwischen zwei Frauen hin- und hergerissen und entscheidet sich für seine „alte“ Liebe Lola, auch wenn die längst verheiratet ist. Romero lässt herrlich aufblühende Gesangslinien hören. Großen Applaus gibt es für sein Trinklied.
Kyung Chun Kim als Vater und betrogener Ehemann
Der zweite Sänger, der bei beiden Stücken eine wichtige Rolle spielt, ist Kyung Chun Kim. Herzreißend in seiner Verzweiflung und Trauer über den Tod von Anna in „Le Villi“ und als gekränkter Macho Alfio, dessen Lola ihn betrügt. Erfrischend und keck: Sabine Noack als Lola. Dass Alfio, ein Fuhrparkunternehmer, auf der Veste mit den PS-Stärken eines Fiats und Sonnenbrille, anrückt, sorgt für Heiterkeit.
Sängerinnen, die brillieren
Wunderbar waren die großen Frauenpartien der Opern besetzt. Yitian Luans voluminöse und geführte Stimme machte die fast kindliche Verliebtheit der Anna ebenso deutlich wie ihre Verzweiflung und Trauer. Während sie bei Puccini stirbt, verschärft der Regisseur den Konflikt und lässt sie Selbstmord begehen. Dass sie allerdings als Puppe fast lustig am Baum pendelt – und Lacher hervorruft, passt zur Gespenster- und Schauerromantik dieser Oper nicht! Das hätte man auch schaurig darstellen können-
Grandios ist Anne-Theresa Møller als Santuzza. Die Mezzosopranistin aus dem Allgäu lässt eine große Bandbreite von schillernden Farben hören. Wunderbar das große Gebet der Außenseiterin „Inneggiamo, Il Signor non è morto!“ zusammen mit dem Chor. Sie zeigt sich als leidenschaftlich Liebende, die in ihrer Demütigung auch vor Verrat nicht zurückschreckt. Die Hilfe, die die schwangere Geliebte, was die streichelnde Hand auf ihrem Bauch andeutet, von der Mutter des Untreuen erbittet, gewährt ihr die „Mamma“ erst auf Bitten des Sohnes. Lucie Ceralová gibt die Partie mit großer Ernsthaftigkeit und auch Kälte; erst am Ende siegt das Mutterherz, und sie stellt sich schützend vor Santuzza, als die Dorfgemeinschaft mit Fackeln und Waffen anrückt, um wie ein Femegericht im Mittelalter über Verräter zu entscheiden. Sie ist vom Regisseur als typische „italienische Mamma“: mit strengem Haarknoten, Henkeltsche und Dreiecksstola – eine Mamma aus den 1960er Jahren. Das ist die Zeit, in der Jürgen Pöckel das italienische Drama auf Sizilien versetzt: Kostüme aus dieser Zeit, samt Täschchen, Schuhen und hochtoupierten Frisuren und auch die Maske schminkte manche Dame à la Loren.
Temperamentvolle Italianità
Generalmusikdirektor Basil H. E. Coleman lässt mit der Niederbayerischen Philharmonie die Italianità breit strömen, transparent bis temperamentvoll, bisweilen feurig. Der Chor, der oft hinter der Bühne singen muss, ist präzise einstudiert von Eleni Papakyriakou und hat große und stimmungsvolle Einsätze. Das „Intermezzo sinfonico“ gestaltet das Orchester mit großer Intensität. Das sinfonische Stück wird durch kleine Milieustudien auf der Bühne illustriert; da zeigte sich Pöckel, wie schon in der sizilianisch angelegten Osterprozession, als guter Arrangeur von markanten kleinen Szenen mit Kenntnis der italienischen Verhältnisse und Witz. So könnte der stolzierende Carabinieri und der Pfarrer samt Ministranten auch einem Film von „Don Camillo und Peppone“ entsprungen sein.
Große Leidenschaft, herrliche Musik: zwei Opern des Verismo, die jetzt unter freiem Himmel sehr begeistern und es auch in der kommenden Saison im Opernhaus tun werden.