Super getanzt – und doch blieb Begeisterung aus
Dass am Landestheater Niederbayern eine Gruppe von jungen Leuten aus dem Parkett nach der Pause in den zweiten Teil von „Sweet Charity“ nicht mehr zurückkehrte, dürften die Theaterleute, sofern sie es bemerkt haben, als bitter empfunden haben. Keine Neugierde auf den zweiten Teil? Oder war es zu sehr 60er Jahre?
Am Samstagabend hatte das dreistündige Musical von Neil Simon, Cy Coleman & Dorothy Fields im Passauer Stadttheater Premiere. Obwohl handwerklich gut gemacht, blieb die große Begeisterung aus.
Katharina Elisabeth Kram: ein vielseitiger Profi
Und das, obwohl die Titelpartie hervorragend besetzt ist. Schauspielerin Katharina Elisabeth Kram ist ein vielseitiger Profi; dass sie Musical kann, zeigte sie schon in „Kiss me, Kate“. Zu einer vielseitigen Tänzerin ist sie in diesem Musical unter der Choreografie von Sunny Prasch geworden; Schrittkombinationen, Posen, Ensembletanz – das passt alles wundervoll; zudem gibt sie in den langen Sprechszenen ihrer Figur den naiven Touch, den Charity braucht, um glaubhaft zu machen, warum dieses Taxi-Girl, das so oft betrogen worden ist, immer noch an das Gute bei Männern glaubt. Ihr Herz ist halt ein Hotel . . . Wie die anderen Mädchen aus dem Milieu träumt sie von einem besseren Leben. Ihre Charity changiert zwischen cooler Anmache im Tanzclub und unsicherem Mädchen, wenn sie die Rolle des Taxi-Girls oder der Prostituierten verlässt. An ihre berühmte Vorgängerin in dieser Partie – Shirley MacLaine – erinnern die rote Perücke und das rote Tattoo am Arm, die auch in anderen Produktionen zu einem Markenzeichen geworden sind.
Musical spielt in den 1960er Jahren
Intendant und Regisseur Stefan Tilch ist ja auch Cineast, diese Reminiszenzen machen auch durchaus Sinn. Er lässt das Musical in den 60er-Jahren spielen: Trench für Charity, Chanel-Kostümchen und Hüte für die Upper-Class, Esoterik-Touch für eine Glaubensgemeinschaft, Glitzer, Schwarz-Gold und viel Haut für die Tänzerinnen (und mehr) des Fandango-Clubs, ein bisschen Exzentrik für den Star Vittorio Vidal (köstliches Klischee: Julian Ricker), und ein bisschen Biedermann-Look für den Buchhalter Oscar Lindquist (bestes Boulevard als durchdrehender Neurotiker in der Liftszene: Stefan Merten). Joachim Vollrath zeigt sich einmal mehr als höchst wandelbar in acht Rollen; jede mit einer markanten Haltung versehen.
Ausstatterduo aus London
Für die Ausstattung hat Tilch das bewährte Duo Charles Cusick Smith & Philip Ronald Daniels aus London gewonnen. Und die haben ihre Sache gut gemacht. Das Einheitsbühnenbild, das für alle drei Bühnen – Landshut, Passau und Straubing – passen muss, wird mit wenigen Versatzstücken und Requisiten und vor allem mit einer tollen Lichtregie in immer wieder spannende Räume verwandelt. Viel Rotlicht für das Rotlichtmilieu.
Retardierende Momente
Die Dramaturgie des Stückes hat durch die komödienhaften Szenen von Neil Simon leider einige retardierende Momente, die dem Stück und dem Abend nicht gut tun, Beispiel: die lange Verabschiedungsszene aus dem Club. Hier hätte dringend gekürzt werden müssen; auch die deutsche Sprache hemmt. Alexander Kuchinkas Fassung ist ziemlich banal und wenig pfiffig. Möglicherweise ist diese aber eine Aufführungsbedingung. Das Landestheater konnte „Sweet Charity“ ja nur durch eine besondere Vereinbarung mit Tams Witmark, A Concord Theatricals Company, aufführen. Der zweite Teil fällt dramaturgisch gesehen leider sehr ab; melancholische Momente überwiegen; die Leichtigkeit geht verloren.
Daran können auch die gut geführten Szenen mit den fulminant tanzenten Girls (Riccarda Schönerstedt, Kirsten Schneider, Erika Del Re, Astrid Nowak, Samantha Senn) und einem guten Männerballett (Julian Stöcklein, Timo Balzli, Luciano Mercoli und Daniel-Erik Biel) nichts ändern.
Vielschichtige Musik
Überzeugend ist die nur zehnköpfige Band, geleitet von Generalmusikdirektor Basil H. E. Coleman. Die Künstler bringen die Musik des amerikanischen Jazzpianisten und Komponisten Cy Coleman (1929-2004) zum Leuchten. Der in Europa wenig bekannte Komponist war mehrfacher Tony-, Emmy- und Grammy-Award Preisträger. „In Sweet Charity“ ist die Musik vielschichtig, hat der Komponist doch mehrere musikalische Welten durchlebt und lässt sie einfließen; so stehen z. B. Swing, Marsch- und Popmusik nebeneinander. Natürlich wartet das Publikum auf die bekannten Songs wie „Big Spender“, „If My Friends Could See Me Now“ und „There’s Gotta Be Something Better Than This“ oder das Titel gebende „Sweet Charity“. Zu einem Glanzstück der Band gerät aber die Nummer „Rich Man’s Frug“.
Offenes Ende
Am Ende ist der erhoffte Ehemann wieder weg. Charity steht allein mit Blümchen auf der Bühne.
Traurig oder hoffnungsvoll? Das Ende ist offen, wie die Reaktion des Publikums im Foyer deutlich machte. Viele fanden es krass, dass es kein Happy End gibt.
Für mich war das Ende nicht melancholisch, sondern happy. Ich sah eine starke Frau, die nicht mehr in das Rotlichtmilieu zurückkehren wird, sondern ihr Leben jetzt selbstbewusst in die Hand nimmt. Egal, ob mit oder ohne Mann.
Hören Sie an was Charity-Darstellerin Katharina Elisabeth Kram im Podcast „Espressivo“ Moderator Thomas Ecker erzählt:
https://letscast.fm/sites/espressivo-fef4238a/episode/folge-8-schauspielerin-katharina-elisabeth-kram
Termine
Landshut:
17., 29. Dezember; 5., 6., 19., 20. Januar
Karten: 0871/922 08 33
Im Internet: theaterkasse@landshut.de
Passau:
10., 26., 27. Dezember, 13., 14. Januar
Karten: 0851/929 19 13
Im Internet: theaterkasse@passau.de
Straubing:
12. Dezember
Karten: Tel. 09421/944 66 155
Im Internet: kulturamt@straubing.de
www.landestheater-niederbayern.de