Erinnerungen an den Scharfrichtergründer Edgar Liegl (†)

Edgar Liegl bei der Aussellungseröffnung im Museum Moderner Kunst 2022. © Edith Rabenstein

Passauer starb in München im Alter von 84 Jahren

 

Von einer Reise zurück erfahre ich, dass Edgar Liegl tot ist. Er starb im Alter von 84 Jahren. Der Passauer, der in München lehrte und lebte, hat sich in der deutschen Kabarettgeschichte einen festen Platz gesichert. Mit Walter Landshuter gründete er 1977 das Scharfrichterhaus Passau, Talentschmiede und Kleinkunstbühne, Ausrichter des begehrten Kabarettpreises „Scharfrichterbeil“, das heuer zum 40. Mal vergeben wurde.

Erste Begegnung mit 17

Edgar Liegl begegnete mir erstmals, als ich 17 Jahre war, Schülerin in Niedernburg. Man verfolgte – gerade als Schüler der Altstadt – mit großer Neugierde, was da fast nebenan geschah. Und eine neue Kulturkneipe mit Musik und Kabarett war für uns höchst interessant und willkommen – zumal etliche und vor allem etablierte Passauer das Scharfrichterhaus wie die Pest mieden, was es für unsere Clique noch interessanter machte.

Walter Landshuter erinnert sich an Edgar Liegl

2018 habe ich Walter Landshuter gebeten, für den Passauer Almanach, dessen Herausgeberin ich bin, über den Aufbruch 1968 in Passau zu schreiben. In „Die 68er kamen mit Verzögerung nach Passau“, erinnert sich Landshuter an seine Anfangszeit mit Edgar Liegl: „Wer in Passau hätte uns diesen Aufbruch erklären können? Edgar und ich fuhren deshalb öfters nach München, um an Demonstrationen teilzunehmen oder bei Diskussionen an der Uni mitzuhören? So allmählich verstanden wir die Zusammenhänge und konnten so auch Verbindungen zu unserer Unzufriedenheit und unserem Ärger über Passauer Verhältnisse herstellen. Zurückgekehrt in die ruhige Provinz  packten wir  unsere Erfahrungen aus und diskutierten heftig in einem kleinen Zirkel im Café Hoft über unsere Möglichkeiten, wie wir die massive Meinungsunterdrückung in Passau durchbrechen könnten. Da gab es einen Kreis um Stefan Weber und Georg Weiss, Dieter Stauber war auch dabei, die Künstler halt. Laut und wild gestikulierend bastelten wir an der Revolution in Passau. Wir waren damals eine kleine Gruppe von Intellektuellen, oder die sich dafür hielten, deren Gesprächsschwerpunkt neben dem aktuellen politischen Geschehen Jean Paul Sartre und der Existentialismus, manchmal auch Adorno, Kant und noch andere Philosophen waren.“

Weitere Begegnungen

Edgar Liegl war im frisch gegründeten Scharfrichterhaus meist bei Veranstaltungen da, die er organisiert hatte. Rund 25 Jahre war er für das Programm verantwortlich. Da hockte er dann am Stammtisch, der links vorm Durchgang  zur Theke war oder auch mal auf der Eingangstreppe oder am Boden im brechend vollen Scharfrichterhaus. Er ergriff gerne das Wort, erzählte, belehrte, stand strahlend im Mittelpunkt, während Walter Landshuter der Stille und Verschlossene war, der gerne im Hintergrund blieb. Damals hatte er mich sicher kaum oder eher wegen meines vollmundig auftretenden Freundes wahrgenommen.

Das änderte sich, als wir uns ab und an in München trafen, zufällig. Entweder im Fraunhofer, der Künstlerkneipe, wo auch Sigi Zimmerschied auftrat, oder im Hinterhoftheater, der Spielstätte von Ottfried Fischer. Meinen Namen hatte er sich damals nicht gemerkt, er betitelte mich damals gerne als „die süße Passauerin“.

1997 im Interview mit den Scharfrichtergründern Edgar Liegl (Mitte) und Walter Landshuter. © Peter Koller

Meinen Namen hat er sich erst gemerkt, als ich ihm in der Funktion „Journalistin der Passauer Neuen Presse“ entgegentrat. Als Kritikerin von Kabarettabenden oder als Interviewpartnerin, wo er mich auch in seiner tollen Wohnung im Scharfrichterhaus empfing. Dort befindet sich eine der schönsten und besterhaltenen Rokoko-Stuckdecken, die in Passau noch erhalten sind. Bei zahlreichen Veranstaltungen haben wir uns getroffen, häufig bei der Verleihung des Scharfrichterbeils. Da trat er als Grandseigneur der Kunstszene auf mit gepflegtem langen Haar und häufig eine Zigarillo im Mund, und einen wehenden Schal um die Schulter. Er war ein fabelhafter Erzähler und charmanter Gesprächspartner – nicht ohne einzuflechten, dass er sein Leben lang einen „Schlag“ bei Frauen hatte und hat. Was die 20 Jahre Jüngere dann doch zum Schmunzeln veranlasste. Ein Genussmensch war Edgar Liegl auf alle Fälle. Er schätzte gutes Essen und guten Wein.

Zufriedenheit, dass sein Lebenswerk erhalten bleibt

Groß war seine Zufriedenheit, dass sein Lebenswerk, das Scharfrichterhaus, weitergeführt wird. 1977 hatte er das Haus in der Milchgasse gekauft und als Kabarettbühne etabliert. 2002 hat er sich daraus zurückgezogen. Mit dem neuen Besitzer Matthias Ziegler sei das Scharfrichterhaus in eine wirtschaftlich stabile Zukunft gegangen, das hat Edgar Liegl immer wieder dankbar betont.

Letztes Treffen im Scharfrichterhaus

Unser letztes Treffen hat dann auch dort stattgefunden. Es war ein köstlicher Abend nach der Eröffnung der Inge-Morath-Ausstellung im Museum Moderner Kunst Passau 2022. Edgar Liegl stieß erst spät am Abend zu uns – erzählte von seinem Leben in München mit dem geliebten Italiener um die Ecke, von den Anfangstagen des Scharfrichterhauses – und von seiner Kindheit in Passau, als er in der Nachkriegszeit unter der amerikanischen Besatzungsmacht Waren von Österreich nach Deutschland schmuggelte und viel mehr noch anstellte. Heiter, charmant, immer neue Geschichten hervorsprudelnd ließ er uns an seinen Erinnerungen bis weit, weit nach Mitternacht teilhaben. Es war ein sehr spontan zustande gekommener, sehr inspierender Abend. Wir erlebten ihn in Bestform. Carmant und charismatisch. „Wir treffen uns bald wieder!“ Sein Satz sollte sich leider nicht bewahrheiten. Er ruhe in Frieden!

In München findet am Freitag, 12. Januar um 13 Uhr in St. Ursula, Kaiserplatz 1, eine Trauerfeier statt. Die Urnenbeisetzung wird etwa drei Wochen später auf dem Innstadtfriedhof in Passau sein.

Biografie

Lesen Sie hier noch seine autorisierte Biografie und Literaturtipps, veröffentlicht in meinem Lexikon:

1000 Künstler/innen & Kulturschaffende

Biografisches Lexikon zur Passauer Stadtgeschichte, Regensburg 2019

Edgar Liegl

Scharfrichterhaus-Begründer

* 1939 in Passau

Er besuchte zunächst das Humanistische Gymnasium, dann die Städtische Wirtschafts­aufbauschule in Passau und legte 1957 die Prüfung zur Mittleren Reife ab. Nach einer Ausbildung im gehobenen Dienst der Bayeri­schen Finanzverwaltung war Liegl zwei Jahre als Fachlehrerpraktikant an der Handelsschule Pindl tätig und schließlich von 1966 bis 1971 als Kaufmännischer Angestellter beschäftigt. 1975 absolvierte er die Begabtenreifeprüfung beim Senat von Berlin und erlangte die Allge­meine Hochschulreife. Bereits vorher begann er das Grundstudium an der Hochschule für Politik der Universität München. 1979 legte er die Diplomprüfung in Politikwissenschaft im Fachbereich Sozialwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München ab. Von 1976 bis 2004 war er Dozent beim Berufsfortbildungswerk des DGB und leite­te dort u. a. die Lehrgänge Kultur- und So­zialmanagement; 1980 bis 2015 wirkte er an der Staatlichen Fachhochschule München als Lehrbeauftragter im Fachbereich Sozialwesen, Kulturpolitik und Kulturpädagogik. Gegen vielfältige Widerstände von Kreisen der Stadt­politik, Gesellschaft, Kirche und Presse grün­dete er zusammen mit → Walter Landshuter am 11. März 1977 in der Milchgasse 2 das Passauer Scharfrichterhaus als Kabarettbüh­ne und Jazzclub. Seit 1992 wird der Kulturbe­trieb von der Stadt und weiteren Sponsoren, u. a. der Stiftung der Passauer Neuen Presse, gefördert. Seit 1983 vergibt das Scharfrichter­haus das Scharfrichterbeil, einen der begehr­testen Kabarettpreise im deutschsprachigen Raum.

Sabine Buchwald: Ein Revoluzzer mit Seidenschal. Edgar Liegl, Mitbegründer des Scharfrichterhau­ses, wird 70 Jahre alt. In: SZ, 14./15. Februar 2009, S. 24

Edith Rabenstein: 40 Jahre Scharfrichter: Kein Grund zum Feiern? In einem fast revolutionären Akt wurde am 11. März 1978 die Passauer Kaba­rettbühne gegründet. In: PNP, 11. März 2017, S. 7

Edith Rabenstein: „Die alte Ignoranz kommt in neuem Gewande daher“. Über Kultur, Politik und Widerstand: Ein Gespräch mit den Passauer Scharf­richtern Edgar Liegl und Walter Landshuter. In: PNP, 11. März 1997, S. 23