Der traurige Antiheld Peter Grimes

Magische Inszenierung: „Peter Grimes“ am Bayerischen Nationaltheater. © Staatstheater München/Wilfried Hösl

Kritik: Benjamin Brittens Oper am Bayerischen Nationaltheater in München

Es war in jeder Hinsicht eine denkwürdige Premiere: Vor der Premiere der Oper „Peter Grimes“ gibt es ein Statement gegen den Krieg in der Ukraine: Der Intendant der Bayerischen Staatsoper, Serge Dorny, tritt auf die Bühne und gedenkt der Unterdrückten und dem Leiden in der Ukraine. Man müsse Kunst und Kultur der Gewalt und Barbarei entgegensetzen, sagt er in seiner knappen Ansprache. Und er zitiert Bert Brecht, dass in dunklen Zeiten auch gesungen werden soll. Freiheit, Demokratie, Brüderlichkeit nennt er als die wichtigsten Werte. Applaus brandete auf. Danach erklingen einige Takte der Europahymne, ein Auszug aus Ludwig van Beethovens „Neunter“. Das Publikum steht ergriffen auf.

Komponist Benjamin Britten (1913 bis 1976), der diese dreiaktige Oper mit Prolog am Ende des Zweiten Weltkriegs komponiert hatte, hätte dieser Friedensgeste sicherlich zugstimmt, war er doch Pazifist und bekannte sich auch öffentlich dazu.

Ein Underdog steht im Mittelpunkt

Ein Underdog steht mit Peter Grimes auf der Bühne, ein rauer Fischer, gewalttätig gegen seine Lehrjungen, ungeliebt von dem Dorf, in dem er lebt. Kein strahlender Held steht hier im Mittelpunkt.

Regisseur Stefan Herheim aus Norwegen, der ab der Saison 2022/2023 in Wien Chef der Volksoper wird, stellt gewaltige Bilder auf die Bühne. Masse versus Individuum; dörflicher Mob gegen einen, der anders ist. „Wer sich abseits stellt und uns verachtet, den vernichten wir“, ist eine der wichtigsten Aussagen in dem Stück, die er ernst nimmt.

Schroffe Küstenlandschaft in Ton und Bild

Das monumentale Einheitsbühnenbild (Silke Bauer), eine große Halle, die auch an einen umgedrehten Schiffsrumpf erinnert, ist variabel, zeigt mal eine Theater-im-Theater-Situation, mal wird sie nach hinten aufgemacht und zeigt Videoprojektionen von Torge Möller, dunkle Tableaus der wilden See und der schroffen Küstenlandschaft, wie sie Britten in seiner Musik immer wieder großartig zeichnet.

Tenor Stuart Skelton zeigt eine zerrissene Persönlichkeit

Scheitert an seinem Lebensentwurf: Peter Grimes, gesungen von Stuart Skelton. © Staatsoper München/Wilfried Hösl

Scheitert an seinem Lebensentwurf: Peter Grimes, gesungen von Stuart Skelton.

© Staatsoper München/Wilfried Hösl

Die Inszenierung setzt auf die Personenregie: Der pöbelnden exaltierten Dorfgemeinschaft, gut geführte Massenszenen des Chores (warum tragen manche Maske, andere wiederum nicht?), steht der Fischer Grimes im gelben „Ostfriesennerz“ verloren gegenüber. Tenor Stuart Skelton gibt ihn als spannende und sehr zerrissene Persönlichkeit: brutal und sensibel gleichzeitig, scheiternd an seinem Lebensentwurf, einen großen Fang zu machen und reich zu werden, verloren in seinen Träumen einer Liebe zur Lehrerin. Bewundernswert, wie Skelton, der die Titelpartie schon mehrfach gesungen hat, diese anspruchsvolle Partie ausgestaltet, kraftvoll berserkerhaft bis zart poetisch.

Lehrerin Rachel Willis-Sørensen ist als warmherzige Lehrerin getrieben vom Helfer-Syndrom; musikalisch hat sie die schönste Musik in der Oper. Eindringlich gestaltet sie die langen melodischen Bögen.

Dirigent Edward Gardner schwelgt

Dirigent Edward Gardner lässt die Musik Brittens wogen, tosen und leuchten. Kein anderer Opernkomponist hat so viele musikalische Bilder des Meeres in einer einzigen Oper verdichtet. Gardner schwelgt und gerät doch nie ins Übermaß. Das ist einfach großartig!

Die Neuinszenierung von „Peter Grimes“ erzählt die Geschichte eines traurigen Antihelden, dem nicht nur die See zum Schicksal wird, sondern letztlich eine gnadenlose uniforme Gemeinschaft, die sein Anderssein nicht ertragen kann.

Weiter im Spielplan am 09. Juli 2022, 19 Uhr; 12. Juli 2022, 19 Uhr

www.staatsoper.de