Zum Tod von Hermann Nitsch: Meine Erinnerungen an den eigenwilligen Künstler
Dass er nicht mehr ganz gesund war, konnte man ihm ansehen: Hermann Nitsch ging zuletzt schon schwer. Und doch hat er kraftvoll im vergangenen Jahr eine Malaktion bei den Bayreuther Festspielen durchgeführt: Eine konzertante Aufführung der „Walküre“ unterlegte er mit „Schüttbildern“. Mit dieser Technik ist er berühmt geworden.
Mitbegründer des Wiener Aktionismus
Jetzt ist der Österreicher im Alter von 83 Jahren in einem Krankenhaus in Mistelbach bei Wien gestorben, wie die österreichischen Medien bekanntgaben.
Der gebürtige Wiener besuchte die Grafische Lehr- und Versuchsanstalt in der österreichischen Hauptstadt, schloss sich schließlich mit den Malern Günter Brus und Otto Muehl zusammen und begründete den Wiener Aktionismus. Künstlerische Aktionen und Proteste wurden im öffentlichen Raum ausgetragen, in den Straßen und Plätzen Wiens. Polizeiaktionen waren die Folge. Die Künstler wurden als Gegner des Establishments bekannt – und polarisierten. Die Performance-Kunst hatte in den sechziger Jahren ihren Höhepunkt. Nitsch führte sie in seinen Schüttbildern, die häufig in der Öffentlichkeit entstanden, fort.
Blut als Malmedium
Zur Performance seines Lebens sollte aber das Orgien-Mysterien-Theater werden. Gespeist vom Mysterien-Theater des Mittelalters, von religiösen Riten und Erlösungsgedanken, von Katharsis und Ekstase, veranstaltete er sechs Tage dauernde Performances, in denen Tiere geschlachtet und ausgeweidet wurden, deren Blut als Malmedium diente; die Teilnehmer dieser Performances feierten orgiastisch die Kunst, den Künstler und sich. Bereits in den 1960er Jahren entwickelte er erste Ideen dazu; 2005 war sein letztes großes Spektakel dieser Art, das 122. im Wiener Burgtheater.
Diese Theaterform, die er als Gesamtkunstwerk aus Musik, Theater und Malerei sah, wurde zu seinem Markenzeichen – über das man trefflich streiten konnte. Denn natürlich hatte er viele Gegner: kirchliche Kreise, Tierschützer, die Gesellschaft, die Kunst nur als ästhetische Kategorie sehen wollte. Für ihn war sie stets auch eine sinnliche.
Eher väterlich als exzentrisch
Ich begegnete Hermann Nitsch einige Male, war überrascht, wie wenig Vokabeln wie „Blutfürst“ oder „Gewaltberserker“, die die Medien ihm verliehen hatten, zu diesem Menschen passten. Er, der meist schwarz gekleidet war, sprach mit leiser Stimme, wandte sich seinem Gesprächspartner intensiv zu, genoss den österreichischen Wein und machte mit seinem Rauschebart eher einen väterlichen als einen exzentrischen Eindruck.
Hermann Nitsch in der Dreiflüssestadt
1996 zeigte das Museum Moderner Kunst Passau eine Ausstellung über das „Orgien-Mysterien-Theater“, zu dem er auch eine theoretische Abhandlung verfasst hatte und das er als „ästhetisches Ritual der Existenzverherrlichung“ sah. Aktionsfotos, Relikte, Videos und Malerei waren im Museum Moderner Kunst – Wörlen zu sehen. Gründungsdirektor Gerwald Sonnberger kuratierte die Schau. Auch sie polarisierte.
Hermann Nitsch (l.) und der Gründer des Museums Moderner Kunst, Hanns Egon Wörlen. © Edith Rabenstein
Ebenso wie das riesengroße Schüttbild Hermann Nitschs, das im Altarraum des Passauer Stephansdoms hing. Die Farbe Rot assoziierte Tod und Opfer. 1996 standen die Festspiele Europäische Wochen unter dem Thema „Europa Sacrale“ und sie präsentierten in 12 Passauer Kirchen 12 Kreuzwegstationen, eine davon war Hermann Nitschs Schüttbild.
Der Wiener war in der Dreiflüssestadt. Ich erlebte einen ehrfürchtigen und entrückten Künstler, der lange Zeit, den Strohhut vom Kopf genommen, sein Bild in diesem großartigen Sakralraum betrachtete, der einst die Mutterkirche des Wiener St.-Stephansdoms war.
Der Passauer Fotograf Rudolf Klaffenböck hat den Künstler dabei von hinten fotografiert. Ein eindrückliches Bild. Ein demütiger Mensch, ganz bei sich.
In späteren Jahren habe ich noch einen launigen Hermann Nitsch in der Galerie am Stein in Schärding getroffen, glücklich, dass seine Ausstellung mit vielen Blumen und guten Wein zelebriert wurde. Glücklich, dass er die Galeristin Monika Perzl treffen konnte. Die Ausstellungsmacherin und der Aktionskünstler waren einander treu.
Meine Meinung: In der Kunst muss man nicht alles aushalten
Regelmäßig hatte er mir Einladungen zu seinen Performances des „Orgien-Mysterien-Theaters“ geschickt, die er in seinem Landesitz Mistelbach veranstaltete. Er selbst war dabei der kühle Regisseur, wie ich in den Filmen sah – nicht live.
Denn: Ich war zwar sehr neugierig, habe aber gehadert – und mich letztlich nicht getraut, hinzufahren. Damals habe ich befürchtet: Ich halte das nicht aus – weder das Blut, noch den Geruch, noch die kreischenden Menschen. Heute weiß ich es: Ich hätte das nicht ausgehalten. Und: In der Kunst muss man nicht alles aushalten. Aber: Man muss es aushalten, dass andere dies wollen – und können.
Er wird mir also mehr als Ikone der Kunstgeschichte in Erinnerung bleiben, als ehrfürchtiger Mann im Dom denn als Tabu-Brecher.