Festival „#wozu demokratie“ in Passau

Das Veranstaltungsprogramm des Festivals. © „#wozu demokratie

Ostbayerische Heimatforschung: Podiumsdiskussion über NS-Belastete aus der Region

 

Wie geht man mit der regionalen NS-Vergangenheit angemessen um? Warum konnten so viele Menschen auf die Ideen des Nationalsozialismus reinfallen? Wie konnte es bei Menschen mit Bildungsniveau zu einer solchen Verrohung kommen? Wie haben sich NS-Persönlichkeiten, die sich schuldig gemacht haben, nach 1945 entwickelt? Wie gehen wir heute mit den Fakten dazu um? Haben wir heute wieder sogenannte „Weimarer Verhältnisse“?

Thema „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer“

Ein Bündel von interessanten Fragen warf die Podiumsdiskussion zum Thema „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer“ am Mittwochabendabend in der Aula der Giselaschulen Niedernburg auf. Anlass war das Erscheinen des Bandes 13 in der gleichnamigen Reihe. Die Podiumsdiskussion, veranstaltet von der Ostbairischen Heimatforschung, wurde geleitet von deren Vorsitzenden Dr. Markus Eberhardt, auch Direktor der Gisela-Schulen, fand im Rahmen des Festivals „#wozu demokratie“ statt. Es geht noch bis 28. Oktober. Kooperationspartner der Veranstaltung waren die Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) im Bistum Passau e. V. und KEB in Stadt und Landkreis Passau e. V. sowie der „Initiative Wochen zur Demokratie“.

Auf dem Podium (v.l.): Dr. Hans Göttler, Dr. Stefan Rammer, Dr. Wolfgang Proske, Diskussionsleiter Dr. Markus Eberhardt sowie die Schülerinnen Antonia Eichberger (Gymnasium) und Katharina Buchner (Realschule). © Edith Rabenstein

Rund 80 Gäste verfolgten die lebhafte Diskussion, die von zwei Beiträgen im Buch ausging. Autor Dr. Hans Göttler hat einen Beitrag zum Schriftsteller Max Matheis (1894-1984) aus Passau verfasst, dessen NS-Vergangenheit er aufgedeckt und in mehreren Publikationen veröffentlicht hatte. Er saß ebenso am Podium wie Dr. Stefan Rammer, PNP-Redakteur, der über den Kaufmann und Politiker Otto Erbersdobler (1895-1981) aus Fürstenzell geschrieben hat.

„Auch die kleinen Rädchen haben NS am Laufen gehalten“

Als einem der schlimmsten Sätze zitierte Göttler Matheis: „Da rief uns Gott mit Hitlers Stimme“. Göttler: „Er war ein nationalgesonnener Dichter bis zu seinem letzten Atemzug.“  Davon zeuge auch ein Gedicht als „Absage an Europa“ von 1974. Noch zu seinen Lebzeiten war Matheis eine Straße gewidmet und er zum Ehrenbürger der Stadt ernannt worden. Göttlers Erkenntnisse, die er bereits 1994 publizierte, wollte niemand weiter zur Kenntnis nehmen. Auch Stefan Rammer wusste von Otto Erbersdobler und seinem Aufstieg in der NS-Zeit zu berichten. Bereits 1923 trat er in die NSDAP ein, war Duz-Freund von Hitler und Himmler und baute eine SS-Abteilung in Fürstenzell auf. dass er als großer Sohn Fürstenzells gefeiert wurde. Er war Chefredakteur der NSDAP-Zeitungen Niederbayerische Rundschau und der Passauer Wacht, Reichstagsabgeordneter sowie 10 Jahre lang Präsident der Industrie- und Handelskammer Passau. Rammer: „Er war kein großer Täter, aber ein fanatischer Propagandist.“  Die beiden Autoren waren sich einig: „Auch die kleinen und mittleren Rädchen haben den Nationalsozialismus am Laufen gehalten.“ Moderator Eberhardt fasst zusammen: „Der Nationalsozialismus konnte nicht nur mit großen Namen funktionieren, er hat Leute in der Region gebraucht, die das Fundament legten.“

 Variationsbreite in der NS-Zeit

Der Herausgeber der Reihe, Dr. Wolfgang Proske, hatte zuvor über die Täter-Forschung gesprochen und mit dem Begriffen „Täter – Helfer – Trittbrettfahrer“ die Variationsbreite angesprochen, mit der man im NS-Staat unterwegs waren. Die Pole waren dabei Unterstützung und Distanz. Er sprach von 10,2 Millionen NSDAP-Mitgliedern, die sich zwischen diesen Polen befunden haben.

 Zwei Männer aus dem Bildungsbürgertum

Warum gerade zwei Männer aus dem Bildungsbürgertum wie Matheis und Erbersdobler Hitler auf dem Leim gegangen seien, sei heute schwer zu rekonstruieren, so Dr. Markus Eberhardt. Bei Erbersdobler habe vielleicht eine Rolle gespielt, dass er sich als Teilnehmer des 1. Weltkriegs in der Weimarer Republik nicht mehr repräsentiert sah, so Rammer. Zu Matheis meinte Göttler, dass er sich in national gesinnten Kreisen befand und als Jäger Freude am Umgang mit Waffen hatten. Sein Ausspruch „Leben ist Töten“ sei selbstredend. Proske: „Es gibt einen Strauß von Gründen.“ Die Verrohung im 1. Weltkrieg könne eine Rolle gespielt haben, ebenso die Rückkehr ins zivile Leben, die Sehnsucht nach Strukturen und das Versprechen der Nationalsozialisten „Herrenmenschen“ zu sein.

Verhalten nach 1945 muss in der Bewertung eine Rolle spielen

In der Diskussion war man einhellig der Meinung, dass das Verhalten nach 1945 der beiden Persönlichkeiten eine Rolle in der Bewertung spielen müsse. Weder bei Mattheis noch bei Erbersdobler haben eine Reflektion,  ein Bedauern, eine Revision der Meinung oder eine Distanzierung zum NS-Regime stattgefunden. Der Moderator als „advocatus diaboli“: „Machen wir da einen Deckel drauf?“ Nein – darüber waren sich alle einig. Auch darüber: Dass es politische Statements der Städte und Gemeinde geben müsse. In der wissenschaftlichen Aufarbeitung habe die Stadt aufgeholt, nicht aber in der Frage zur Straßennamensgebung. Die Max-Matheis-Straße  habe gebe es noch immer – trotz vieler Bemühungen zur Änderung, so Rammer. „Das Thema ist nicht abgeschlossen. Die Diskussion wird weiter geführt“, fasste Eberhardt zusammen.

Wert der Wissenschaft und der Fakten

Angesichts der Krisenzeit heute warf der Podiumsleiter die Abschlussfrage in die Runde: „Haben wir Weimarer Verhältnisse?“ Proske sah Tendenzen in die Richtung und sprach von einer Schwäche des Establishments, sich zur Wehr zu setzen. Auch sehe er eine Unfähigkeit, sich zu orientieren. Rammer sprach von einer gefestigten Demokratie, auch wenn es einen Bodensatz von rechten und linken Extremen gebe. „Mir ist nicht bange, wenn ich an die Jugend denke“, sagte Göttler.

Die Jugend diskutierte auch mit: Die Niedernburger Schülerinnen Antonia Eichberger (Gymnasium) und Katharina Buchner (Realschule) waren der Meinung, dass es zu wenig lokalbezogenen Geschichtsunterricht über die NS-Zeit gebe. Zu Fakten und Fake-News in den Socialmedia sagte Eichberger, in den Schülerkreisen wisse man schon, wo man sich seriöse Fakten holen könne, eben nicht bei den Socialmedia. Dr. Markus Eberhardt, der Oberstudiendirektor und Historiker ist, sagte abschließend: „Je länger ich Lehrer bin, desto mehr habe ich Hoffnung für die Zukunft.“ Wichtig sei es, den Wert der Wissenschaft offenzulegen und darzustellen, mit welchen Fakten man operiere.

„Aufrechte Erinnerung“

Die Ostbairische Heimatforschung  und das Festival „#wozu demokratie“ sind zu loben, dass sie eine Veranstaltung zur NS-Zeit durchgeführt haben. Denn das Wissen um die verbrecherische Diktatur darf nicht verloren gehen. Dass dabei in der Forschung verstärkt auch regionale Aspekte und Belastete aufgezeigt werden, ist eine wichtige Entwicklung. Eine Podiumsdiskussion war nicht nur ein neues Format in der Ostbairischen Heimatforschung, sondern auch ein geeignetes, um das Bewusstsein für diese Problematik zu schärfen. Dr. Winfried Helm, einer der Veranstalter der Festivalreihe, hatte eingangs gesagt: „Wir wollen hier in der Region friedlich zusammenleben. Dazu gehört aufrechte Erinnerung.“ Wie recht er hat! Der Abend hat dazu beigetragen.

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Täter – Helfer – Trittbrettfahrer, Bd. 13: NS-Belastete aus Niederbayern, hrsg. von Wolfgang Proske, Kugelberg-Verlag, 400 Seiten, 23.99 Euro, ISBN ‎ 978-3945893210