Zwischen Märchen und Utopie

Siegfried (Michael Heim) nach der Erweckung Brünnhildes (Peggy Steiner). © Landestheater Niederbayern/Peter Litvai

Bejubelte Premiere: „Siegfried“ am Landestheater Niederbayern

 

Endlich war es soweit: Der dritte Teil von Richard Wagners großer Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ konnte als Produktion des Landestheaters Niederbayern über die Bühne im Landshuter Theaterzelt gehen. Nachdem der Darsteller des Titelhelden wegen Krankheit die Premiere von „Siegfried“  am 6. November hatte abbrechen müssen, fand die Premiere im fast ausverkauften Theaterzelt nun gestern statt.  Jubel gab es am Ende für das gesamte Team  und  vor allem für ihn:

Tenor Michael Heim kann sich dieses Mal als Siegfried stimmlich bestens präsentieren. Es ist sein Debüt in dieser Partie, bei einer schon fortgeschrittenen Karriere eine enorme Leistung. Freilich: Sein Stimmmaterial ist dafür bestens disponiert. Er hat ein betörendes Timbre, ein warmes Strömen und eine sichere Stimmführung; gegen Ende überdeckt ihn allerdings leider das Orchester. Heim ist eine imposante Bühnenfigur.

Ironische Breitseite des Titelhelden

Stefan Tilch hat ja auch bisher so manchen Nibelungen-Helden mit einer ironischen Breitseite ausgestattet. Siegfried gehört sicherlich dazu. Denn die statischen und sich wiederholenden Heldenposen können hier nicht ernst gemeint sein.  Das zeigt auch das Kostüm (Ursula Beutler) und die Maske. Die Titelfigur trägt langes blondes Haar und ein Kostüm, das „Lederstrumpf“ entsprungen scheint. Die pathetischen Gesten, ein Stolpern über das Bühnenbild, das törichte Getänzel mit dem Waldvögelein, die plumpe Unbeholfenheit beim Auffinden von Brünnhilde – das alles zeigt: Die alten Helden haben ausgedient. Neue Helden braucht das Land. Da passt natürlich der Siegfried-Stoff hervorragend, denn nichts lehrt Siegfried das Fürchten – nur die Liebe. Das sich langsame Annähern, bei dem die Macho-Gesten der Amazone aus „Die Walküre“ wieder aufgenommen werden, das ängstliche Suchen und das langsame sich Finden – das ist wunderbare Personenregie. Das Duett am Ende mit Brünnhilde ist der Höhepunkt des Abends. Mühelos erklimmen die beiden Sänger stimmschön die höchsten Töne; im Liebesrausch jagen Siegfried und Brünnhilde durch das Weltall und sind sich selbst genug. Siegfried ist sein eigener Stern, an dem die Galaxien vorbeiziehen.

„Lessing“-Fassung und wenig Schwelgen

Der erste „Ring“ in Ostbayern – dies ist vor allem auch dem Wagemut von Generalmusikdirektor Basil H. E. Coleman zu verdanken, der die kleinere „Lessing“-Fassung wählte und die Niederbayerische Philharmonie kräftig aufstockte. Freilich: Ohne Mikroports geht es nicht; sie waren meist gut ausgesteuert. Coleman, der eher gemäßigt dirigierte, gewinnt mit jedem Wagner-Stück mehr an gut abgestufter Dynamik. Das Schwelgen lässt er nur bisweilen zu, was die Musik durchsichtig macht.

 

Im Fokus des Radars

Überirdisch siedelt der Regisseur und Intendant das gesamte Stück an: Ein Radar wird – per Video über alle Akteure und Schauplätze gelegt. Das suggeriert von einem den Blick von außen auf das Geschehen, zum anderen gibt es – den eventuell nicht ganz Wagner-kundigen Besucher – Hinweise. Der Radar hat aber auch etwas Bedrohliches: Er hat etwas Utopisches: Datenkolonnen jagen sich; Dauerbeobachtung ist das Ziel; jeder ist gleich auf dem Schirm.

Differenzierte Personenregie

Wotan (Stephan Bootz) schickt Erda (Tiina Penttinen) in den ewigen Schlaf. © Landestheater Niederbayern/Peter Litvai

Stefan Tilch legt bei allen Figuren Wert auf feine Personenregie: Der Göttervater ist  hier ein Wanderer, der mit Zaubertricks und Furzkissen sein Gegenüber verblüfft. Sein Motto „Schauen, nicht schaffen“,  geht mehrmals über den Radarschirm. Stephan Bootz, der bereits in den beiden ersten Produktionen Wotan sang, überzeugt auch dieses Mal. Er ist stimmgewaltig, hat eine brillante Bühnenpräsenz, auch als er durch seinen Enkel Siegfried entmachtet wird, indem dieser seinen Speer entzwei schlägt. Bestens ausgestattet wird Mime, der Zwerg, der Siegfried groß gezogen hat. Wie ein kleines Schachtelteufelchen springt er hin und her und will alles zu seinem Vorteil wenden. Die Irokesenfigur gibt ihm etwas Skurriles, das zur Rolle passt. Der Amerikaner Jeff Martin hat eine sehr agile Tenorstimme und weiß der Verschlagenheit und Heuchelei seiner Figur viele Farben zu geben. Der zweite Zwerg in dem Stück ist Alberich. Wie schon in „Rheingold“ ist Stefan Stoll auch hier eine Wucht. Ihm zur Seite steht in dieser Inszenierung der junge Hagen, eine stumme Rolle, gespielt von Paul Färber. Die finnische Mezzosopranistin Tiina Penttinen gibt eine warme Erda mit dunklem Timbre. Das grüne Kleid, das aus der Erde wächst, macht ihr allerdings zu schaffen. Schön ist die Szene, wie in sie ewigen Schlaf versinkt. Tilch, Kenner der Mythologie, hat auch die drei Nornen nicht vergessen.

Der Waldvogel ist hier doppelt besetzt. Die sängerische Partie, die bei Wagner ein Knabe singen sollte, wird auf den meisten Bühnen von einer Sopranistin gesungen. Auch in Landshut ist das so. Emily Fultz interpretiert mit wunderschön perlenden Koloraturen das Vögelein, das Siegfried berät, von der Bühnenseite, während die Tänzerin Sunny Prasch (die auch für die Choreografie verantwortlich ist) das heitere Gezwitscher auf der Bühne tanzt. Sie wird dem leichten spielerischen Duktus dieser Musik sehr schön gerecht.

Märchen-Karte voll ausgespielt

Siegfried (Michael Heim) trifft das Vögelein (Sunny Prasch); im Hintergrund sieht man den getöteten Fafner (Heeyun Choi). © Landestheater Niederbayern/Peter Litvai

Ja – und da sind wir bei der märchenhaften Komponente von „Siegfried“ angelangt. Tilch tut gut daran, diese Karte voll auszuspielen. Der „Siegfried“ wäre sonst verschenkt. Dazu gehört das Schmieden von Nothung mit eindrucksvollem Feuerzauber ebenso wie die Waldvögelein-Szene und natürlich die Drachen-Szene im zweiten Aufzug. Diese ist ganz großartig gelungen. Der Riese Fafner, der seinen Bruder im „Rheingold“ erschlug und sich in einen Drachen verwandelt hat, hütet Ring und Hort der Nibelungen. Ein riesiger aufgeblähter Mann hat Stränge von Gold unter sich begraben. Heeyun Choi, grotesk geschminkt, singt mit geheimnisvoller Stimme. Das Untier wird im Tod zum Weisen mit goldenem Drachenkopf und warnt Siegfried. Im Hintergrund lugt ein Drachenschwanz hervor. Das ist großes Märchen! Verstärkt durch die Videokunst von Florian Rödl. Denn hier marschieren die Goldstränge ziehenden Nibelungen aus dem „Rheingold“ wieder auf – und eine Totenarmee zeigt, wohin die Gier führt. Sinnliche Bilder!

Videos: wichtiger Bestandteil des Bühnenbildes

Wie in den beiden ersten Teilen der Tetralogie sind die Videos von Florian Rödl ein wichtiger Angelpunkt im Bühnenbild (Karlheinz Beer). Dies besteht aus schrägen Podesten, stellt einmal Mimes Haus, ein anderes Mal den Eingang zur Drachenhöhle oder die Waldlandschaft dar. Auch die Bücherwand, Symbol für das Weltwissen, ist wieder ein Versatzstück des Bühnenbildes, das auf die beiden ersten Teile des „Rings“ verweist. Tilch schafft mehrere Verknüpfungen, so lässt er die Bilder der Eltern Siegfrieds  aus dem zweiten Teil erscheinen; dies alles verwebt die Teile eng miteinander, zudem gibt es großartige und farbkräftige Bilder, unterstützt von einer starken Lichtregie.

Spannung auf „Götterdammerung“ wächst

Beim dritten Abend der Tetralogie zeigt sich immer mehr, dass die Mythologie und das Märchen vom „Ring“ auf eine Utopie hinauslaufen könnten; das Rasen in fernen  Galaxien am Ende von „Siegfried“ könnte ein Verweis darauf sein. Die Spannung auf die „Götterdämmerung“ ist angeheizt.  Ich freue mich darauf!

www.landestheater-niederbayern.de

Weitere Termine:

In Landshut: 3.12.; 28.1.2023

Karten: Tel. 0871/922 08 33

 

In Passau: 21.5. 2023; 27.5.

Karten: 0851 / 929 19 13

 

In Straubing: 17.1.2023

Karten: 09421 / 944 69 199