Ein politisches Statement

Szenenbild aus „Krieg und Frieden“ an der Bayerischen Staatsoper. © Wilfried Hösl

Erstmals in München: Prokofjews  Oper „Krieg und Frieden“ an der Staatsoper

 

Um keine Opernaufführung gab es in den letzten Jahren so viel Gezetere  im Vorfeld wie um die Münchner Erstaufführung von Sergej Prokofjews „Krieg und Frieden“ nach dem großen Gesellschaftsroman von Leo Tolstoi.

Als der Opernchef  des Nationaltheater, Vladimir Jurowski,  2019 bekannt gab, dass dieses Monumentalwerk der russischen Opernliteratur in München seine Erstaufführung erleben würde, war der Krieg in der Ukraine noch in der Ferne. Nach dem Kriegsausbruch vor einem Jahr, hat die Führung der Staatsoper zusammen mit dem russischen Regisseur Dmitri Tcherniakov beschlossen, das Werk trotzdem aufzuführen.

Die Relevanz der Kunst stärken

„Vladimir Jurowski, Dmitri Tcherniakov und ich haben uns dennoch entschieden, dass wir ,Krieg und Frieden´ auf die Bühne bringen wollen – gerade jetzt. Insbesondere in der herausfordernden Zeit, in der wir leben, gilt es, die Relevanz der Kunst ständig neu zu stärken. Die Aktualität dieses Werks, vor allem der Zugriff von Dmitri Tcherniakov, wird zeigen, welche gesellschaftliche Bedeutung Oper heute hat“, sagte Intendant Serge Dorny vorab.

Uraufgeführt 1946, feierte das damals stalinistische Russland mit dieser Oper, die vom Sieg gegen Napoleon 1812 erzählt, auch den Sieg über Hitler-Deutschland.

Am Sonntag war es so weit. Über vier Stunden lang präsentierte die Oper ein Panorama an Befindlichkeiten in der Gesellschaft Russlands heute. Münchens „Krieg und Frieden“ ist eine  Koproduktion mit dem Gran Teatre del Liceu in Barcelona (Spanien).

Der Krieg, in dem es keine Sieger gibt

In 13 Bildern und mit eindringlichen Tableaus wird die Geschichte des Krieges an sich erzählt – in dem es keine Sieger geben kann. Da wird sich zusammengerottet, geschossen, gekämpft, getötet, Erste Hilfe praktiziert und im Nahkampf der Gegner zu Boden gestreckt. Und das in immer schneller werdenden Tempo und mit großen Massen, die demonstrativ oft die Hände nach oben strecken , zur kämpferischen Faust geballt, zu einem politischen Gruß oder aber zu einem Hilfeschrei. Zum Teil sind rund 100 Menschen auf der Bühne, die aus 12 Nationen kommen.

Privatheit gegen Gesellschaft

Der Opernabend hat auch eine andere Lesart: Privatheit gegen Gesellschaft, das fühlende Individuum gegen die politische Diktatur.

Das Individuum steht in den ersten Bildern im Mittelpunkt mit dem Fürsten Andrej Bolkonski und der Komtess Natascha Rostowa, die sich ineinander verlieben.  Olga Kulchynska  kommt aus der Ukraine, Andrej Zhilikhovsky aus Moldavien. Sie sind ein Traumpaar, das die Idylle leben will. Samtig, warm und verführerisch leuchtet sein Bariton, glockenhell und klar ist ihr Sopran. Beim Schlussapplaus kamen beide im Ukraine T-Shirt auf die Bühne. Statements für die Ukraine auch im Maskenbuilding und bei den Kostümen zahlreiche „Soldaten“, Statisten und Choristen trugen die Farben der Ukraine im Gesicht oder am Kostüm.

Dass es um den Krieg hier und  heute ging, war auch im Bühnenbild und an den Kostümen zu sehen: Matratzen erinnerten an Flüchtlingslager, ebenso heutige Klamotten und Koffer. Menschen sind auf der Flucht.

Bühnenbild trägt nicht durch den Abend

Einzige, was hier das Auge nicht befriedigt, ist das Bühnenbild. Das nachgestellte „Haus der Gewerkschaft“  in Moskau ist zwar eine symbolische Herrschaftsarchitektur Russlands, die schon viele bedeutsamen historischen Momente der Geschichte gesehen hat, trägt aber nicht durch die rund vier stündige Inszenierung. Hier hätte man mehr mit Lichteffekten oder Videowalls arbeiten können. Denn am Ende wirkt das Bild arg strapaziert und – noch schlimmer – langweilig.

60 Solisten

Ganz und gar nicht sind das die 60 Solisten in dieser Mammutoper. Diesen Cast für die in Originalsprache gesungene Oper zusammenzubringen, das allein ist schon eine Meisterleistung. Hervorgehoben seien folgende Sänger: Der armenische Tenor Arsen Soghomonyan sang den guten Graf Pierre Besuchow wundervoll weich und mit großem Leuchten; der isländische Bariton Tómas Tómasson gab Napoleon als eine bunte Witzfigur; der russische Bass Dimitry Ulyanov gab einen eindrucksvollen und hemdsärmeligen Feldmarschall Michail Kutusow, der die Befreiung Moskaus – leger und gelangweilt  – verkünden  darf. Es ist sein Debüt an der Bayerischen Staatsoper.

Lyrisch und enorm farbig

Der goldene Lorbeer an diesem Abend gebührt jedoch Vladimir Jurowski; seit 2021 ist er Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper. Der Russe, der seit seinem 18. Lebensjahr in Deutschland lebt, hat bereits international zahlreiche Orchester geleitet. Er nahm die Aufforderung des Komponisten wörtlich, wegzulassen und umzubauen. Mehrere Jubelarien und die Schlussapotheose wurden gestrichen. Er betonte das poetische musikalische Moment der Musik und baute auf die wogenden Klangmassen, die er geschickt zu zähmen wusste. Spannend und enorm farbig klang es aus dem Orchestergraben. Auf welcher Seite er steht – daran ließ er keinen Zweifel, trug er doch bei allen Interviews stets einen Ukraine-Button.

Diese Münchner  Erstaufführung war ein wirklich denkwürdiger Abend.


Weitere Vorstellungen:

Weitere Vorstellungen: 9., 12., 15., 18. März, 2., 7. Juli

Karten: tickets@staatsoper.de 
+49 89 21 85 19 20
Erreichbarkeit: Mo – Sa, 10.00 – 19.00 Uhr