„The Black Rider“ am Landestheater Niederbayern
Seit „The Black Rider“ seine Uraufführung am Thalia-Theater in Hamburg 1990 feierte, erreichte es in der Publikumsgunst Kultstatus. Und das mit einem abseitigen Thema aus der Literatur- und Sagenwelt: unfähige Schützen schließen einen Pakt mit dem Teufel, der aber auch zu seinem Recht kommen will. Die moderne Version von „Der Freischütz“ ist jetzt am Landestheater Niederbayern angekommen. Schreiber Wilhelm kann das Käthchen nicht heiraten, weil er zwar viele Talente hat, aber als Schütze versagt. Schützenhilfe sucht er bei Stelzfuß, die Macht der Hölle.
Regie führt Johannes Reitmeier
Das Theaterstück mit Musik von Sänger und Komponist Tom Waits und Librettist William S. Burroughs (1914–1997), beide US-Amerikaner, hatte am Freitag Premiere in Passau unter der Gastregie von Johannes Reitmeier. Der Intendant des Tiroler Landestheaters kehrt damit an seine alte Wirkungsstätte zurück. Von 1996 bis 2002 war er – in Nachfolge des verstorbenen Klaus Schlette – Intendant des Theaters, das damals noch Südostbayerisches Städtetheater hieß.
In den vergangenen Spielzeiten als Regisseur von Opern in Passau tätig, erarbeitete er „Black Rider“ mit dem sangeskräftigen Teil des Schauspielensembles in Landshut.
Reitmeier tat klug daran, nicht die Originalfassung und damit Regisseur Bob Wilson zu imitieren, was in der Rezeptionsgeschichte von „The Black Rider“ auch schon vorkam. Er entwarf ein Setting in der Theaterwelt. Tourist Wilhelm macht mit seiner Gruppe eine Theaterführung mit – und bleibt hinten. Im Kostümfundus wird er eingesperrt – und fällt verzweifelt in Schlaf und Traum.
Der (Alb)Traum macht viel Irreales möglich
Die Theaterfiguren werden lebendig – man fühlt sich etwas an den Film „Nachts im Museum“ erinnert. Der (Alb)Traum macht viel Irreales möglich. Und genau da setzt Reitmeier an. Er entwickelt den Plot als schräge Geschichte, in der alles überzeichnet ist: die Figuren, die Kostüme, die Maske, die Choreografie. Die Geschichte selbst ist es ohnehin.
Ein Einheitsbühnenbild (Michael D. Zimmermann/Johannes Reitmeier) wird schnell zu einem Problem, allerdings nicht hier: Projektionen von Wald, Film von der Höllenfahrt und eine Lichtregie, die die Bühne mal in eine grelle, mal in eine gespenstische Atmosphäre taucht, stellt viele Stimmungen her.
Librettist Burroughs hatte übrigens zu diesem Thema eine besondere Affinität, hatte er doch – versehentlich seine Frau beim Theaterspielen (!) erschossen. Das Stück hat gerade im ersten Teil dramaturgische Längen, denen mit viel Schwung und Tanz begegnet wird; ganz verschwinden sie allerdings nicht; nach der Pause geht es dann Schlag auf Schlag.
Reitmeier legt Wert auf eine akribische Personenregie, und das spielfreudige Ensemble zieht wunderbar mit.
Ursula Erb als Stelzfuß
Eine tolle Besetzung ist Kammerschauspielerin Ursula Erb als Stelzfuß. Damit schlüpft sie nach Mephisto wieder in eine teuflische Rolle. Mit einem eleganten und schillernden roten Kostüm (Antje Adamson) ist der Stelzfuß Conférencier und Drahtzieher des Stückes. Bewundernswert, wie die 1941 in Augsburg geborene Schauspielerin mit großer Aura den Teufel als eigentlichen Weltherrscher gibt. Mit kalter Wucht schleudert sie „Greetings from the Devil“ (Grüße vom Teufel) ins Publikum und interpretiert das weltbekannte Lied „The Last Rose of Sommer“ mit feiner Diseusen-Kunst
Zwei gegensätzliche Freier
Die beiden jungen Männer, die um Käthchen buhlen sind der Schreiber Wilhelm (Julian Ricker) und der Jäger Robert (Stefan Sieh), zwei gegensätzliche Typen: Der unsichere und unerfahrene Schreiber wird erst durch die magischen Kugeln zum selbstbewussten Freier, während der selbstbewusste prahlerische Rivale (Stefan Sieh) schon die Braut an seiner Seite glaubt. Beide Schauspieler gehören zu den stärksten der jungen Garde im Ensemble. Ricker besonders stark in der Szene, in der die Freikugeln in der Wolfsschlicht gegossen werden; Sieh köstlich als Wilderer, der Beute erlegt. Dass die Beute als Pelzjacken und -mäntel aus dem Theaterfundus kommen, ist eine witzige Idee, auch dass die Schüsse nur durch „Paff-Paff“ und Gesten angedeutet sind. Dies parodiert witzig den Kult um das Schießen in früheren Zeiten.
Käthchen spürt den kalten Hauch
Die Frau zwischen zwei Männern spielt Katherina Elisabeth Kram. Einmal mehr zeigt sie ihre große Wandlungsfähigkeit. Als verliebtes Mädchen spürt sie den kalten Hauch, der ihren Liebsten umgibt und fragt: „Wer ist der Dritte, der mit uns geht“, als Braut windet sie sich unter dem Bügeleisen ihrer Mutter und besingt später Lucky days“. Am Ende trifft sie die letzte Kugel, die der Teufel lenkt.
Als Figuren der Commedia dell‘ arte sind die Eltern angelegt: Reinhard Peer ist ein köstlicher und stimmgewaltiger Bertram, der glücklicherweise nicht versucht, Tom Waits zu imitieren. Katrin Wunderlich gibt eine schrullige Mutter, beide in parodistischen Kostümen.
Jochen Decker findet als Onkel, Herzog und Georg Schmid jeweils eine charakteristische Haltung für die Rolle.
Stefan Merten ist ein witziger Ritter Kuno, der in einem Gemälde steckt, aus dem er nicht nur seine Weltweisheit verkündet, sondern auch raustreten darf. Jagdgehilfe Matthias Schabow geht mit einer modernen Warnweste durch die Kulisse.
Ein Stilmix
Reitmeier Movens in dieser Inszenierung ist, dass er in vielen Stilen spielen lässt: Slapstick, Stegreifspiel, Commedia dell‘ arte, Pantomime, Maskenspiel, Handpuppen-Figurentheater dazu eine schnelle Choreografie (von wem?). Das ist ein rasant ineinander übergehender Mix.
Das alles vorangetrieben wird von Bernd Meyer und seiner Band mit Peter König, Markus König, Andreas Blüml/Robert Prill, Andrea Paoletti und Uli Zrenner Wolkenstein. Alle spielen mehrere Instrumente. Der Vaudeville-Stil versetzt mit Beat, Soul und Jazzelementen, den Tom Waits vorgegeben hat, kommt gut rüber. Allerdings ist die Band vor allem am Anfang zu laut, da gehen die Stimmen der Sänger unter. Die Bandbreite von Musikstilen geht mit der Bandbreite von Theaterstilen zusammen.
Dass ein Teil des Publikums wohl nicht wusste, auf was es sich einließ, war bei der Premieren-Pause zu hören. Wer sich auf dieses kuriose Spektakel und seine schräge und makabre Interpretation einließ, der hatte seinen Spaß.
Das Ende ist ein anderes als in der Originalfassung: Der Höllensohn fährt nicht gen Himmel. Der Teufel lehnt lässig im Türrahmen als Schattenriss. Das Böse bleibt also in der Welt.
Termine:
in Landshut: 30., 31. März, 26., 27. Mai
Karten: Tel. 0871/922 08 33
in Passau: 11. März, 1., 2. April
Karten: 0851 / 929 19 13
in Straubing: 28. März
Karten: 09421 / 944 69 199
Infos: www.landestheater-niederbayern.de