Der neue „Parsifal“ bei den Bayreuther Festspielen

Zwei Einspringer, die großartig waren: Andreas Schager als Parsifal und Elīna Garanča als Kundry. © Bayreuther Festspiele 2023/Enrico Nawrath

Musikalisch top, regiemäßig ein Flop

 

Wichtige Neuerungen gibt es bei den Bayreuther Festspielen. Erstmals konnte man die Eröffnungspremiere als Live-Stream miterleben; erstmals wurde bei der Ausstattung „Augmented Reality“ mit einbezogen, die allerdings nur ein kleiner Teil der Zuschauer vor Ort sehen konnte; der Zuschauer am Bildschirm natürlich gar nicht.

Nichts ersetzt das Live-Erlebnis – und doch: Seit Corona hat man sich daran gewöhnt, bei Theatern in aller Welt per Live-Stream zuzuschalten. Und das hat durchaus auch Vorteile, denn man sieht – bei guter Bildregie – Details, die man sonst nicht wahrnehmen würde. Außerdem werden Leute auf Oper neugierig, die sonst vielleicht nie hinschauen, hinhören oder hingehen würden.

Diesmal bin ich also nicht live auf dem Grünen Hügel, sondern per Stream. Auch schon eine Stunde früher, als ich den Regen und Nässe der Besucher sehe, bin ich eigentlich ganz froh, dieses Mal in meinem Büro zu sitzen. Die Freude auf den „neuen“ Parsifal ist groß; die Neugierde auch.

Musikalische Seite war hochklassig

Es war ein Fest der Sänger. Die musikalische Seite war hochklassig. Erstmals dirigierte der Spanier Pablo Heras-Casado, der zuvor schon erklärt hatte, welche zentrale Rolle Richard Wagner und seine Musik in seinem Leben einnehmen.

In legerer Kleidung und hochkonzentriert leitete er das Festspielorchester – und ließ sich am Ende glücklich und erschöpft auf die Partitur fallen, beklatscht von seinen Musikern. Das sahen die Besucher im Festspielhaus nicht, bejubelten ihn, umgezogen, dann beim Schlussapplaus zurecht. Der Jubel galt auch dem Chor unter neuer Leitung des Chordirektors Eberhard Friedrich.

Zu Recht frenetisch gefeiert wurden die Sänger. Allen voran Andreas Schager. Der österreichische Tenor singt seit 2016 regelmäßig in Bayreuth und ist in „Parsifal“ für den erkrankten Joseph Calleja in der Titelpartie eingesprungen, jener hatte kurzfristig abgesagt.  Der Heldentenor überzeugt durch eine ausgezeichnete Stimmkultur, große Sicherheit auch in den Spitzentöne und eine raumgreifende Bühnenpräsenz. Vielleicht weil er der Unwissende, „der reine Tor“ mit großem „Staunen“ durch das dramatische Personal wandelt, sich wundernd und fragend. Jung und mannhaft zugleich ist dieser Parsifal.

Debüt von Elīna Garanča am Grünen Hügel

Die zweite Überraschung als Einspringerin ist Elīna Garanča. Sie hatte von Ekaterina Semenchuk die Partie übernommen, die aus privaten Gründen abgesagt hatte. Weltstar Garanča ist die erste lettische Künstlerin, die in Bayreuth debütierte. Vorab erzählte die Mezzosopranistin, dass sie unglaublich stolz darauf sei und erinnerte daran, dass Richard Wagner seinen Festspielgedanken auch in Riga verwirklichen wollte. Sie zeichnete die ruhelose Weltenwanderin und Verführerin sehr eindringlich als tragische Figur. Stimmlich ist sie in Bayreuth längst angekommen; an Textverständlichkeit mangelt es aber. Ihr Ende bleibt offen. Ins reinigende Wasserbecken holt sie Parsifal. Stirbt sie (wie bei Wagner) oder geht sie einer Zukunft mit ihm entgegen? Das bleibt in dieser Inszenierung offen.

Für die hohe musikalische Qualität  dieser Inszenierung sorgen auch Bass Georg Zeppenfeld als Gurnemanz, der australische Bassbariton Welton als Amfortas und der hawaiianische Bariton Jordan Shanahan als Klingsor.

Buhs für Regie du Ausstattung

Bunt und knallig: Szene in Klingsors Zaubergarten.
© Bayreuther Festspiele 2023

Buhs gab es bereits nach dem ersten Akt. Nach dem dritten entlud sich ein wahrer Buhsturm auf Regisseur Jay Scheib. Der 46-jährige Amerikaner, Regisseur und Professor am Massachusetts Institute of Technology, liefert eine irgendwie typisch amerikanische Inszenierung, teilweise sehr bunt, mit Symbolen arbeitend und die neuen Medien nutzend – und ansonsten sehr statisch. Vielleicht hat sich Scheib zu sehr auf  die Ausstattung „Augmented Reality“ verlassen, die ja eine Bilderflut produziert, von der diejenigen, die eine Brille hatten, erzählten. Was für ihn sprechen mag: Er hat sicher nicht gedacht oder geplant,  dass von den rund 2000 Zuschauern nur ein Drittel eine Brille bekommt. Denn das wäre in den USA undenkbar! Diese Tatsache ist den zahlenden Zuschauern auch ziemlich undemokratisch und unfair, Unfair auch dem Regisseur gegenüber, dessen Leistung nur eingeschränkt beurteilt werden kann. Denn die neuen Medien können tolle Bildwelten kreieren. So aber standen die Sänger und der Chor oft nur statisch herum, es gab wenig Spannung innerhalb der Figurenkonstellation. So, wie sich die Produktion einem Zuschauer ohne Brille präsentiert, ist sie langweilig und ein Flop.

,Zwei Einspringer, die großartig waren: Andreas Schager als Parsifal und Elīna Garanča als Kundry. © Bayreuther Festspiele 2023/Enrico NawrathDie Kostüme (Meentje Nielsen) waren bunt, wie z. B. in Klingsors Zaubergarten in rosa  Puff-Farben, wie auch Klingsor selbst als Zuhälter gezeichnet wurde. Parsifal hatte eine geflickte Jeans an und ein blutbeflecktes T-Shirt mit drei Herzchen, wohl als Symbol für seine Empathie zu werten. Am Rücken steht in Schreibschrift „Remember me“ – das bedeutet nicht nur das wörtlich übersetzte „Erinnere mich“, sondern ist auch ein Hinweis auf den gleichnamigen US-Film, der über verwundete Seelen erzählt. Die Ritter der Gralsgemeinschaft treten mal in gelben Schürzen oder als Söldnerheer auf. Das ist weder inhaltlich, noch optisch reizvoll.

Das Bühnenbild (Mimi Lien) wird dominiert von einem Strahlenkranz, der wie ein Heiligenschein wirkt, sich hebt und senkt. Am Ende steht ein vieldeutiges Stahlelement auf rechten Seite, eventuell ein kaputter Panzer. Das alles wirkt zusammenhanglos.

Es bleibt zu hoffen, dass die kommenden Jahre, Brillen für alle Besucher angeschafft werden, so dass sich  jeder selbst ein Bild machen kann, ob die „Augmented Reality“ störend, erhellend oder einfach „nur“ schön ist. Denn auch Letzteres soll man nicht ausschließen.

Weitere Vorstellungen:

  •  Dienstag, 25. Juli 2023
  •  Sonntag, 30. Juli 2023
  •  Samstag, 12. August 2023
  •  Dienstag, 15. August 2023
  •  Samstag, 19. August 2023
  •  Mittwoch, 23. August 2023
  •  Sonntag, 27. August 2023

Elīna Garanča als Kundry:
25.7. | 30.7. | 12.8.

Ekaterina Gubanova als Kundry
15.8. | 19.8. | 23.8. | 27.8.

Karten: www.bayreuther-festspiele.de/tickets-service/tickets-kaufen/