Der Sehnsuchtsmaler wird als Mensch greifbar

Das Cover. © S. Fischer

Florian Illies‘ Zeitreise zu Caspar David Friedrich

Zum 250. Geburtstag Caspar David Friedrichs hat der Erzähler Florian Illies (Jahrgang 1971) eine betörende Zeitreise vorgelegt, die sich durch mehrere Epochen zieht. Es ist keine Biografie des berühmten Malers, der heute der Inbegriff der Deutschen Romantik ist, obgleich viel Biografisches angerissen wird. Vielmehr besteht das Buch in vier Kapiteln aus einer Durchdringung der menschlichen und künstlerischen Welt des Malers sowie der Wirkungsgeschichte seiner Kunst. Dass Florian Illies dabei auch die zum Teil abenteuerlichen Wege einzelner Werke nachzeichnet, zieht sich als dramaturgischer Faden durch das Buch – und gibt dem Leser die Möglichkeit, unter anderem auch verloren gegangene oder zerstörte Bilder vor seinem Auge erscheinen zu lassen.

Vier Kapitel in Collage-Technik

Schon die Kapiteleinteilung zeigt, dass Illies ein raffinierter Erzähler ist; mit „Feuer“, „Wasser“, „Erde“ und „Luft“  fächert er einerseits das malerische Universum auf und gibt andrerseits seinem Erzähltext eine inhaltliche Struktur.

In Collage-Technik  erzählt er in Episoden, etwa über das doch meist ärmliche und karge Leben des Malers mit seiner Frau Line. Der gebürtige Greifswalder hat im Alter von 44 Jahren die 25 Dresdnerin geheiratet und die meiste Zeit seines Lebens in der sächsischen Metropole verbracht. Es gibt einige innig beschriebene Szenen mit Leni und Tochter Emma, die meist aus den Briefwechsel mit dem Bruder entnommen sind. Freilich entwirft er auch das traurige Bild eines schweren und armen Melancholikers – finanzieller Erfolg war ihm wenig beschieden – , der sich und seine Familie, die auf drei Kinder angewachsen ist, schlecht über Wasser halten konnte.

Goethe, Kronprinz Friedrich Wilhelm, Samuel Beckett

Personen aus Friedrichs Zeit scheinen auf, wenn sie Berührungspunkte mit dem Maler haben, etwa wie der damalige Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe. Friedrich buhlt um die Gunst den großen Mannes, der dessen Schwermut allerdings nicht aushält und ein Werk an der Tischkannte zerschlagen haben soll. Miniaturen von Malerfreunden wie Gerhard von Kügelgen oder den norwegischen Landschaftsmaler Johann Christian Clausen Dahl blitzen auf.

Und da gibt es auch eine Episode um den 15-jährigen preußischen Kronprinz Friedrich Wilhelm, der sich mit Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“ über den Verlust seiner Mutter, Königin Luise, hinwegtrösten will.

Florian Illies hat viel recherchiert, stellt Bezüge zu oder Aussagen über  Caspar David Friedrich quer durch die Jahrhunderte her.

Zum Beispiel berichtet er über den Brand des Münchner Glaspalastes 1931 aus Sicht des Journalisten und Autors Eugen Roth, der selbst zwei Zeichnungen des von ihm sehr verehrten Friedrich besitzt, und als Lokalreporter über den Verlust von neun Friedrich-Gemälden berichtet.

Der französische Autor Samuell Beckett schreibt 1937 über Friedrichs „Mondbetrachter“: „die einzig noch akzeptable Form der Romantik: Das Ganze in Moll“ 1937. In den 1970er Jahren gesteht er, dass dieses Bild ihn zu dem Zwei-Personen-Stück „Warten auf Godot“ angeregt habe“.

NS-Regieme vereinnahmt Friedrich

Dass die Nationalsozialisten Caspar David Friedrich vereinnahmt haben, verwundert nicht. Sie sehen die Romantik als „einzig akzeptable Form von Kunst“, so Illies. Er zitiert einen großen Aufsatz von 1940: „In Caspar David Friedrichs Werk, der Leistung keines anderen Volkes vergleichbar, wird das ewige Deutschland immer wesentliche Züge seiner Seele in reiner Verkündigung erblicken.“  Leider erfährt der Leser nicht, von wem dieser Satz stammt. Dieser Wertschätzung verdanken die Friedrich-Bilder allerdings ihr die Auslagerung 1942 in das mittelalterliche Schloss Weesenstein im Müglitztal.

Manche These in „Zauber der Stille“ ist allerdings schon abenteuerlich kühn oder man könnte auch sagen, an den Haaren herbeigezogen, so etwa wenn er meint, Kate Winslet rede in ihrer Filmrolle in „Titanic“ – kurz bevor der Eisberg das Luxusschiff rammt – von Caspar David Friedrich. Solches Schwadronieren hat Florian Illies gar nicht nötig, auch wenn er dadurch das Detail darauf hinweist, dass der Romantiker sogar in die Show „Wer wird Millionär?“ Eingang gefunden hat.

Durchaus Krimi-Qualität

Welch geschickter und spannender Erzähler Illies ist, zeigt er auch, wenn er den verschlungenen Wegen einiger Friedrich-Bilder nachgeht. Das geht Krimi-Qualitäten; ich nenne nur ein Beispiel: den Diebstahl der „Nebelschwaden“ 1994 aus der Frankfurter Kunsthalle Schirn. Das Bild taucht nach Jahren wieder auf. Die Räuber werden gefasst; die Hintermänner bleiben im Dunkeln.

Florian Illies ist den Geheimnissen von Friedrichs Malerei auf der Spur und nimmt den Leser mit brillanter Erzähltechnik sowie spannenden und gut recherchierten Fakten mit. Die zum Teil rasanten Zeitsprünge stören nicht, im Gegenteil, sie wirken belebend. Was durchaus zur Raffinesse dieser großartigen Erzählers gehört. Dass der Autor auch Bewunderer des großen Malers ist, stört dabei nicht, er hätte andernfalls wohl kaum so akribisch recherchiert.

Caspar David Friedrich selbst, der seinem Bruder am Ende des Lebens schrieb, das alles, was er darstelle „in gewisser Weise ein Rätsel sei“ – wollte wohl auch seiner Nachwelt ein Rätsel bleiben. Als er am 7. Mai 1840 stirbt, hinterlässt er ein leeres Arbeitszimmer. Er hat alle Briefe und Bücher verbrannt. In Vergessenheit ist er auch geraten, weil er als Mensch kaum greifbar war und als Künstler ebenso wenig, denn ein Großteil seines unsigniertes Œuvres ist verloren gegangen oder verbrannt.

Dieses 250. Jubiläum mit mehreren Ausstellungen und dieses großartige Buch „Zauber der Stille“ rückt einen der größten deutschen Maler endlich wieder ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit. Und er wird auch als Mensch greifbar. Das ist wohl die größte Leistung des Erzählers.

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Florian Illies, Zauber der Stille. Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten, S. Fischer, 251 Seiten, 25 Euro.

Biografie des Autors, veröffentlicht im Fischer Verlag

Florian llies, geboren 1971, studierte Kunstgeschichte in Bonn und Oxford. Er war Feuilletonchef der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, leitete das Auktionshaus Grisebach und ist jetzt Mitherausgeber der „ZEIT“. Bei S. FISCHER erschien zuletzt das inzwischen in 18 Sprachen übersetzte Buch über die 1920er und 1930er Jahre „Liebe in Zeiten des Hasses“. Sein Kunst-Podcast „Augen zu“ (gemeinsam mit Giovanni di Lorenzo) gehört zu den meistgehörten Podcasts deutscher Sprache.

 

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