Die Trauer des Vaters, das Leid der Tochter
Premiere für Hans-Georg Wimmer als Siegmund
Erstmals in Niederbayern wird Richard Wagners Bühnenfestspiel „Der Ring des Nibelungen“ vom Landestheater Niederbayern präsentiert. Mit „Die Walküre“ geht die Tetralogie in die zweite Runde. Fertig bis zur Generalprobe, konnte die Premiere wegen der pandemiebedingten Theaterschließung 2020 nicht mehr stattfinden. Intendant und Regisseur Stefan Tilch wartete – und ließ dabei nach Corona-Regeln erstellten anderen Musiktheater-Produktion den Vortritt. Zum Glück.
„Die Walküre“ schließt an „Das Rheingold“ an
Denn jetzt kann man die ursprünglich erarbeitete Fassung sehen. Sie schließt mit wuchtigen Bildern an den ersten Abend an. Während am Ende von „Das Rheingold“ Wotans Götterburg Walhall ein Bücherturm ist, den Stacheldraht schützt, kennzeichnet der erste Schauplatz, die Wohnstätte Hundings, eine Bücherferne: Die Regale sind leer; am heimischen Herd werden Bücher verbrannt. Bei Wotan ist das Wissen der Welt zu Hause, bei Hunding die Barbarei. Ehefrau Sieglinde ist gewaltsam genommen und wie ein Hofhund an der Leine auf das häusliche Areal beschränkt.
Stefan Tilch – ein Mager prägnanter Bilder
Die semantische Verknüpfung von „Vorabend“ und „Erster Tag“ – so sind die einzelnen Teile von Wagner benannt – ist eine der Stärken dieser Inszenierung. Stefan Tilch ist ein Magier prägnanter Bilder. Am Ende jedes Aufzugs steht ein wuchtiger Schlussakkord mit dem Einsatz von Pyrotechnik. In Bühnenbildner Karlheinz Beer hat er einen kongenialen Partner gefunden. Er nimmt das Motiv der Bücherregale auf, kippt und dreht sie, schafft ein Podest und damit verschiedene Spielebenen. Feine Lichtregie, Bühnennebel und vor allem Florian Rödls Videokunst machen die visuellen Ebenen vielschichtig, z. B. die gnadenlose Jagd von Hundings Leuten auf den in Winterstürmen fliegenden Siegmund. Und der bildgewaltige Schluss: Wenn am Ende Loge gerufen wird und der taiwanesische Tenor Ya-Chung Huang, der ewig rauchende Feuergott aus „Das Rheingold“, eingespielt wird, und einen Feuerring um Brünnhilde legt, das ist schon große Klasse. Da fließen Musik und Bild emotional und dicht ineinander.
Frisches Dirigat von Generalmusikdirektor Basil H. E. Coleman
Am Pult der Niederbayerischen Philharmonie, die aufgestockt ist mit Gastmusikern, steht Generalmusikdirektor Basil H. E. Coleman. Er hat die sogenannte reduzierte „Lessing“-Fassung gewählt. In Straubing (Theater am Hagen) spielt er mit 53, in Landshut (Theaterzelt) mit 61 und in Passau mit 74 Musikern. Das ist jeweils dem zur Verfügung stehenden Platz geschuldet. Wer ihn kennt, weiß, dass er alles andere als gemächlich durch eine Partitur führt. Temporeich und frisch manövriert er durch den Abend. Wagners Klangeruptionen sind da, doch nicht überbordend wild. Die lyrischen Phrasen sind fein abgestuft. Das Dirigat kommt durchaus den Sängern zu Gute. Bei der Premiere in Straubing hätte man besser auf Micro-Ports verzichtet, aber die Produktion ist für alle drei Häuser einstudiert – und im Landshuter Theaterzelt und der Passauer Dreiländerhalle ist die Verstärkung und Klangbalance nötig.
Hans-Georg Wimmer verinnerlichte Siegmund
In der Straubinger Premiere stand Hans-Georg Wimmer als Siegmund auf der Bühne. Er konnte in der Landshuter Premiere wegen Corona nicht auftreten. Wenn der Intendant vor der Vorstellung vor die Bühne tritt, bedeutet dies meist nichts Gutes. Doch der angekündigte Reizhusten blieb zum Glück aus. Nur einmal bemerkte man einen leichten Anflug.
Hans-Georg Wimmer, der vom Bass-Bariton zum Tenor wechselte, und als Heldentenor Erfolge feierte, war am Landestheater als berührender Tristan zu erleben. Siegmund sang er schon mehrfach. Auch bei dieser Premiere war zu sehen und zu hören, wie sehr er die Partie verinnerlicht hat. Er ist ein Sänger mit Wagner-Format und ein delikater Darsteller. Peggy Steiner als Sieglinde ist brillant in Spiel und Stimme. Regisseur Tilch lässt das liebende Geschwisterpaar viele synchrone Bewegungen ausführen, die subtil auf ihre Verschmelzung, aber auch geschwisterliche Verwandtschaft verweisen.
Heeyun Choi ist ein martialisch auftretender Hunding. Die Gnadenlosigkeit seines dargestellten Machos legt er in gefährlich-vibrierende Klänge und eine furchteinflößende Tiefe seiner Stimme.
Judith Gennrich überzeugt als Fricka nicht. Sie konnte sich nicht gegen die Fülle des Orchesters durchsetzen. Die Wotans-Gattin und Hüterin der Ehe ist als rauchende Partydame im lila Cocktailkleid angelegt und bildet einen inhaltliche Referenz zu „Das Rheingold“.
Die Amazonen als tanzender Mädelsclub
Yamina Maamar, die einen Rollenwechsel vom Mezzo zum Sopran vollzog, hat eine starke Dynamik als Brünnhilde zu bewältigen, was ihr ganz gut gelingt. In den lyrischen Passagen überzeugt sie mehr als in den dramatischen. Fein und anrührend ist ihre Schlussszene mit dem Vater, in der sie das Leid der Tochter innig darstellt. Ansonsten interpretiert sie die Amazone keck, burschikos, manchmal banal. Das mag an der Ausstattung liegen und an der Regieidee, dass die Amazonen, mit Pfeil und Bögen sowie Bürostühlen und Handys ausgestattet und einem Schwarm überdrehter Teenies gleichen. Klangschön überzeugen: Emily Fultz (Helmwige), Claudia Bauer (Gerhilde), Kathryn J. Brown (Ortlinde), Sabine Noack (Waltraute), Reinhild Buchmayer (Siegrune), Juliane Wenzel (Roßweiße), Christina Rehm (Grimgerde) und Christina Blaschke (Schwertleite). Der Mädelsclub beginnt schließlich den „Walküren-Ritt“ zu tanzen (Choreografie: Sunny Prasch). Das ist ziemlich ironisch und bringt einerseits Elan und Frische in die Inszenierung, andrerseits führen z. B. die viel zu schnell laufenden Twitter-Nachrichten (als Bühnenbild) völlig ins Leere. Die Kostüme (Ursula Beutler) erinnern mit den Schlaghosen an die 1960-er Jahre oder an „Raumschiff Orion“. Sieglinde dagegen hat ein mädchenhaftes Kleid an. Siegmunds Nothung-Schwert erinnert an Johnny Deeps „Edward mit den Scherenhänden“. Kostümbildnerin knüpft auch an Kostüme aus „Das Rheingold“ an. So sind die Wälsungen mit Wolfspelz ausgestattet. Siegmund trägt ein kleines Fell, Wotan ein großes.
Stephan Bootz zeigt einen in seiner Existenz getroffenen Gott
Stephan Bootz ist trotz seiner jungen Jahre ein Wotan von Statur und Format mit brillanter Bühnenpräsenz. Mit seiner bassbaritonalen Färbung ist er ein idealer Wagner-Gott. Und: Er ist ein Sängerdarsteller. Seine Figur ist zerrissen zwischen liebender Vaterfigur und strengem Gottvater. Am Ende ist er in seiner Existenz getroffen, eine tragische Gestalt, die unter ihrer Entscheidung leidet – und wie ein einsamer Wanderer verschwindet.
Eine kurzweiliger, spannender Wagner-Abend!
Das sind die Termine: Beachten Sie die unterschiedlichen Anfangszeiten. Die Aufführung dauert 4 Stunden und 15 Minuten inclusive 2 Pausen.
Landshut
29.04.2022 – 18:00 Uhr
13.05.2022 – 18:00 Uhr
15.05.2022 – 16:00 Uhr
Karten: Tel. 0871/922 08 33
Passau
10.06.2022 – 18:00 Uhr
12.06.2022 – 16:00 Uhr
Karten: 0851 / 929 19 13