Alberto Giacometti im Museum Moderner Kunst Passau

Sammler Helmut Klewan vor dem Ausstellungsplakat des Museums Moderner Kunst in Passau. Das verwendete Foto stammt von Franz Hubmann, 1957. © Edith Rabenstein

Ein Künstler von Weltrang

Ein Highlight der modernen Kunstgeschichte präsentiert das Museum Moderner Kunst – Wörlen in Passau: rund 100 Werke des Schweizer Bildhauers und Malers Alberto Giacometti. Es sind rund 100 Werke aus der Privatsammlung des Sammlers Helmut Klewan, der die größte Giacometti-Sammlung in Deutschland besitzt. Das Besondere an dieser Schau ist, dass Giacometti hier auch als Zeichner und Maler präsentiert wird. Andere Ausstellungen haben sich meist auf den Bildhauer konzentriert, der durch seine reduzierten und gelängten Bronzearbeiten bekannt geworden ist.

Dr. Marion Bornscheuer, die die Ausstellung klug in sechs Themenfeldern kuratiert hat, ist es damit gelungen, einen wirklichen Blockbuster in die Dreiflüssestadt zu holen.

Warum dieser Artikel nicht bebildert ist: Die Erben Giacomettis erlauben keine Veröffentlichung der Bilder. Die Fotografie, die das Museum für das Plakatmotiv verwendet, stammt aus der Sammlung Klewan und ist aufgenommen vom Fotografen Franz Hubmann 1957.

 

Biografie

Alberto Giacometti, geboren 1901 im Bergell, Graubünden, als Sohn eines Bildhauers, studierte Kunst und Bildhauerei in Genf ab 1919 und in Paris ab 1922. Erste Gruppenausstellungen gab es seit 1928. 1931 hatte er seine erste Einzelschau, deren berühmtester Besucher Pablo Picasso war; 1934 gab es die erste Einzelausstellung in Venedig.

Einer breiten Weltöffentlichkeit wurde er bekannt durch seine „Frauen von Venedig“ auf der Biennale der Lagunenstadt 1956. 1962 erhielt er den großen Skulpturenpreis von Venedig.

1966 starb Alberto Giacometti, bei dem 1963 ein Magenkrebs diagnostiziert worden war.

 

Formsprache von Phänomenologie geprägt

Schon in seinen frühen Jahren wurde deutlich, dass Giacometti einen Unterschied darin machte, wie er einen Gegenstand sah, und wie er wirklich war. Raum und Zeit waren dabei die Pole, an denen er einen perspektivischen Wandel sichtbar machte. Da der Raum von Objekten gebildet wird, war er für Giacometti auch veränderbar, wenn sich das Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt verändert. Seine philosophische Ansichten sind vom Existenzialismus und von der Phänomenologie geprägt. Daraus entwickelt er seine Formsprache – im zeichnerischen und vor allem im bildhauerischen Werk. Daraus entwickelt er seine Formsprache – im zeichnerischen und vor allem im bildhauerischen Werk.

 

Der Rundgang beginnt mit privatem Umfeld

Den Rundgang hat die Museumschefin analog der Architektur des Museums aufgebaut und sinnvoll thematisch gegliedert. Der erste Raum zeigt Giacomettis privates Umfeld. Es gibt zahlreiche Selbstporträts (meist Lithografien) ab 1915 sowie Porträts aus seiner Familie. Auffallend ist, wie subtil Giacometti mit dem dargestellten Motiv und dem Umraum umgeht. Zahlreiche Porträts sind mit viel Weißraum gestaltet. Ein beeindruckendes Porträt (Litho) seiner Mutter Annetta mit markantem Gesicht und weit aufgerissenen Augen aus dem Jahr 1963 zeigt sie ein Jahr vor ihrem Tod. Der Sohn setzt das Porträt auf das große weiße Blatt klein in die Ecke. Giacometti signiert übrigens meist auf dem Blatt, nicht auf der Platte. Sehr interessant ist auch eine fast blattfüllende Bleistiftzeichnung „Annette steht auf einem Bett“ seiner späteren Frau, die er 1946 kennengelernt und 1949 geheiratet hatte. Dichte Schraffuren prägen das Blatt; man erkennt den Zeichner mit schnellem Strich, der jedoch auch hier das Verhältnis des Raumes zur dargestellten Person exakt definiert. Aus seinem privaten Umfeld wird auch ein Porträt seines Bruders „Diego im Atelier“ (Litho von 1954) gezeigt; sein Bruder war 1925 nach Paris gekommen und wurde sein Ateliergehilfe.

Der stehende Akt

Der zweite Raum wird dem stehenden Akt (Nu debout) gewidmet. Ab 1935 wurde dieses Thema einer seiner Hauptmotive. Die hier ausgestellten Arbeiten machen deutlich, wie sehr seine künstlerische Auffassung  von der Phänomenologie geprägt ist. Er versucht, seine subjektive Seherfahrung in künstlerische Formate umzusetzen. Bei den Figuren bedeutet dies: Er schafft gelängte und sehr, sehr schlanke Figuren. Sie haben keine Körper mehr, sondern sind nur noch Umrisse von etwas früher Körperhaftem. Bei den zeichnerischen Arbeiten sind die Menschen nur noch Striche mit Punkten als Köpfe; der Raum dominiert, etwa mit einem nur angedeuteten hohen Häuserkulissen („Auf der Straße“, Litho, 1958).

Figur und Raum

Mit Straßenszenen geht es im dritten Raum weiter. Die Grafik-Serie „Paris ohne Ende“ (Paris sans fin) von 1958 bis 1965 ist hier ausgestellt. Ein anderes wichtiges Werk des Schweizers steht inmitten des Raumes. Es ist die Skulptur „Der Käfig“ (La cage) aus dem Jahr 1950 in einem Bronzeguss von 1991.  Der Käfig ist ein umschlossener Raum, in dem sich eine männliche und weibliche Figur befinden – ohne Beziehung zu einander. Die gelängte weibliche Figur, die sich am Käfig festzuhalten scheint, besteht fast nur noch aus einem zu einem Stab verdichteten Körper, bei dem sich eine Taille erahnen lässt; die klassischen Gesetze wie Stand- und Spielbein spielen hier keine Rolle. Die männliche kleine Büste ist abgewandt. Plinthen gibt es hier nicht, aber zwei Böden des Käfigs, der das Betrachtete in eine große Distanz rückt.

Gesellschaftlicher Kosmos

Im vierten Raum geht es um den gesellschaftliche Kosmos Giacomettis. Hier finden sich hauptsächlich Porträts, z. B. von Georges Bataille, David Sylvester, Arthur Rimbaud und James Lord, der später der Biograf des Künstlers wurde. Auch kann man sehen, dass Giacometti auch Prospekte, Zeitschriften, Verlagsanzeigen als Maluntergrund für Zeichnungen nahm. Dies mag der der argen finanziellen Situation der Nachkriegszeit geschuldet sein oder ein Experiment. Freilich ist man versucht, zumindest wenn man den die Schrift des bekannten Theatermannes Antonin Artaud als Ausgangsmaterial sieht, dahinter schon eine Absicht Giacomettis zu sehen.

Nähe und Distanz

Der fünfte Raum präsentiert Miniaturen. Dabei geht es dem Künstler um die Darstellung von Nähe und Distanz. Aus der Biografie Giacomettis weiß man, dass es ein bestimmtes Erlebnis dazu gibt: die Beobachtung von Distanz, als die Geliebte des Künstlers einem Pariser  Boulevard sich immer weiter von ihm entfernt. Die beiden Pole des künstlerischen Ansatzes sind hier Distanz und Erinnerung. Infolgedessen schuf der Künstler, Figuren und Köpfe in Miniaturgröße – oft auf dicken oder übereinandergestellten Sockeln. Manche Figuren sind nur 7 cm groß. Diese Schaffensphase umspannte die Jahre 1938 bis 1944; an 1946 kam dann die Phase der gelängten Figuren.

Malerei und Bildhauerei gleichberechtigt

Der sechste Raum war für mich persönlich, die in den gesehenen Ausstellungen stets den Bildhauer thematisiert sah,  die größte Entdeckung und Überraschung: Alberto Giacometti als Maler. Auch hier geht es wieder um das Thema der Wahrnehmung. Ab 1947 sah der Künstler die Malerei gleichberechtigt neben der Skulptur stehen. Gleichwohl wird er in der Öffentlichkeit mehr als Bildhauer gesehen, wie die Kunstfreunde wissen. Während im Öl-Porträt „Patricia Matisse“ von 1947 die bunte Farbigkeit noch eine tragende Rolle spielt, weist die Bild-im-Bild-Situation und mehrere Rahmen darauf hin, dass der Künstler auch hier Distanz schaffen will. Es gelingt ihm. Die weiteren Bilder sind Kompositionen in Grautönen. Als Betrachter staunt man, wie viele Grautöne es geben kann. Bei genauer Betrachtung weicht die Monochromie; auch hier sind Figuren – Menschen –zu sehen, aber nur als vage Schemata und Silhouetten, z. B. „Zwei Figuren auf grauem Grund“, Öl auf Leinwand, 1955.

Kunsthistoriker Milz: „Es geht um das Wahrnehmungsdilemma“

„Es geht um das Wahrnehmungsdilemma“, wie es der Kunsthistoriker Dr. Manfred Milz bei der Vernissage beschrieben hat; er promovierte über Giacometti und lehrt aktuell an der Universität Regensburg.

Die Ausstellung wird ergänzt durch Fotografien. So kann man an einem frühen Bild der Familie erkennen, dass Alberto Giacometti den markanten Kopf von seiner Mutter Annette geerbt hat. Ein anderes Foto zeigt seine Ateliers in Paris und den Künstler bei Regen in Paris und auf der Biennale in Venedig.

Die Ausstellung geht bis 31. Juli 2022 ist geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr.

www.mmk.passau.de

https://www.rabenstein-kultur-blog.de/2022/06/inge-morath-trif…ometti-in-passau/