Passionsspiele Oberammergau

Das Passionstheater mit dem Chor und dem ersten „Tableau Vivant“: Die Vertreibung aus dem Paradies. © Passionsspiele Oberammergau 2022/Birgit Gudjonsdottir

Mein drittes Mal: Erinnerungen an meine Passionsspielbesuche

Als ich am Samstag nach Oberammergau einfahre, bleibt die Zeit für mich stehen. Nichts scheint sich in diesem putzigen Ort geändert zu haben, seit ich das letzte Mal dort war. Die mit Blumen geschmückten Häuser mit ihrer bunten Lüftlmalerei und ihrer prächtigen Blumenzierde bieten ein liebliches Bild, viele touristische Andenken stehen und hängen unter bunten Sonnenschirmen und scheinen zu rufen: „Kauf mich!“ Eine Verlockung anderer Art liegt in den Konditoreien oder riecht aus den Küchen gemütlicher Wirtshäuser, die der Besucher wegen ihrer bodenständigen bayerischen Küche schätzt. Die 5500-Seelen-Gemeinde pflegt ihr beliebtes Image, das alle zehn Jahre ein Aushängeschild in aller Welt ist. Denn dann finden die Passionsspiele Oberammergau statt, die ein Magnet für internationale Gäste sind.

Erstes Passionsspiel 1634

Denn nicht nur das Schauspiel um die Passion Christi ist etwas Besonderes, sondern auch, wie es zustande kam: 1633 war das Pestjahr in Europa. 80 Einwohner von Oberammergau der Seuche zum Opfer. Daraufhin gelobten die Oberammergauer feierlich, regelmäßig ein Passionsspiel aufzuführen, wenn sie von der Pest befreit würden. Von diesem Tag an ist kein Pesttoter mehr verzeichnet. Erstmals wurde das Passionsspiel 1634 als Einlösung des Gelübdes nach der überstandenen Pest aufgeführt.

Extra-Spielzeit 1984

Mein erstes Mal war bei einer Extra-Spielzeit. Die gab es 1984 zur 350. Wiederkehr der ersten Aufführung. Außerordentlich war an diesem ersten Besuch so einiges. Ich war nicht als normale Besucherin dort, sondern im Rahmen eines Projekts am Institut für Theaterwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Mein Professor Klaus Lazarowicz führte ein Seminar durch zum Thema: „Theater und Religion.“ Das Musical „Jesus Christ Superstar“ und die Passionsspiele sollten untersucht werden. Ich, neugierige und wissbegierige Studentin,  meldete mich gleich zu beiden Arbeitsgruppen.

Rudolf Klaffenböck bei den Passionsspielen

Wir zehn Studenten hatten super Plätze bei der Premiere, die wir uns nicht hätten leisten können, und führten zu Beginn und in der Pause Publikumsumfrage durch. Da entdecke ich, dass der Passauer Kabarettist Rudolf Klaffenböck im Christus-Gewand durch die Menge schreitet und Nelken verteilt – unter anderem auch an den prominentesten Gast: Ministerpräsident Franz Josef Strauß. Und ich sehe, wie er von der Polizei abgeführt wird. Später erzählt er mir, dass er in der Wache schweigend im Neuen Testament gelesen habe. Um halb drei Uhr teilt er seine Identität den Polizisten mit und auch, dass sein Reisepass mit 100 Mark am Friedhof hinterlegt sei. Vorausgegangen war der Aktion ein Gelübde: „Wenn ich eine Kurzfilmförderung kriege, mache ich das, was die Oberammergauer schon seit 350 Jahren machen.“ In der Presse gibt es ein großes Rauschen; der Film, den seine Freunde von dieser Aktion gedreht haben, wird später Kult und erhält das Prädikat „besonders wertvoll“.

Trotz dieser Aufregungen sind die Erinnerungen an das  Passionsspiel selbst nicht verblasst. Ich war tief beeindruckt vom Laien-Spiel über die letzten Tage Christi auf dieser riesigen Bühne, erinnere mich auch, dass die Sprecher leise waren, obwohl sie meist nur an der Rampe spielten. Die Charaktere wurden nicht dargestellt, sondern repräsentiert. Die Bilder waren großartig gestellt.

Die Passionsspiele 2010

Bei  diesem Besuch der Passionsspiele habe ich Christoph Stückl kennengelernt und ihn als einen leidenschaftlichen Theatermenschen kennengelernt. Er ist ein Tag und Nachtarbeiter, der am liebsten alles selber macht und gerne auf die Bühne springt und seine Ideen den Laienschauspielern vorspielt. Er war 1990 der jüngste Spielleiter aller Zeiten und hat – auch mit viel Gegenwind – die Passionsspiele inhaltlich und formal reformiert. Die antisemitischen Tendenzen der aus dem 19. Jahrhundert stammenden Textfassung sind in der neuerlichen Überarbeitung von Stückl und seinem Dramaturgen Otto Huber nicht nur völlig passé; aus ihnen ist im Nachgang geradezu die Neudefinition der Heilands-Figur geworden. Jesus ist ein engagierter junger Jude, der seinen Glauben kompromisslos lebt. Jesus liest aus der Thora-Rolle und spricht auch hebräische Worte. Gespielt wird er in der Premiere 2010 von Frederik Mayet, dem Pressesprecher der Passionsspiele und des von Stückl geführten Volkstheater in München. Er ist ein Visionär und Idealist, eher softe Lichtgestalt als Revolutionär. Die „Tableaus vivants“, eine Besonderheit der Passionsspiele scheinen auf seinen Typ abgestimmt. Es sind „lebende Bilder“, die nach der Kunstrichtung der sogenannten „Nazarener“ (Malereistil des 19. Jahrhunderts) gestaltet sind. In besonders prägender Erinnerung ist mir die Inszenierung der Kreuzigung. Das Publikum hielt den Atem an, so intensiv spielte Mayet.

Auch das ist mir in Erinnerung: Das Glasdach über der Bühne musste ausgefahren werden – das fand ich eine tolle Konstruktion –, weil es zwischendurch regnete. Und es war sehr, sehr kalt. Wir kauften und zwei Decken.

Die Passionsspiele 2022

Heuer hielt das Wetter; nur leichter Wind zog durch das neu renovierte Passionsspielhaus. Stückl habe ich nicht beneidet, die Jesus-Figur wieder neu zu erfinden, dem bekannten Geschehen um die letzten fünf Tage Jesu wieder ein neues und spannendes Gesicht zu geben. Das ist vor allem durch den Umbau der Bühne geschehen und durch eine dunkle Tonigkeit der Ausstattung.

Frederik Mayet spielt wieder den Premieren-Jesus, nicht mehr soft, sondern rebellisch. Die Figur des Verräters bekommt ein neues Gewicht und neues Gesicht mit Schauspielstudenten Cengiz Görür, erstmals spielt ein muslimischer Oberammergauer den Judas. Das überraschend Neue war die musikalische Ausgestaltung des Abends.

Promis im Passionstheater

Gesellschaftlich waren die Passionsspiele wieder ein Topereignis: Ministerpräsident Markus Söder hatte zum Empfang geladen. Die Kirche war traditionell gut vertreten. Gesehen wurden der katholische Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx sowie der Erzbischof von Kapstadt Thabo Makgoba, der Passauer Bischof Dr. Stefan Oster, der Weihbischof der Erzdiözese München Wolfgang Bischof, der Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Dr. Heinrich Bedford Strohm, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Josef Schuster und seine Vorgängerin Charlotte Knobloch.

Weiter wurden gesehen etliche Schauspieler wie Ben Becker, Rufus Beck, Uschi Glas, Alexander von Thun, Didi Hallervorden, Jutta Speidel, Alexander von Thun, Didi Hallervorden, Conny Glogger sowie der Kabarettist und Moderator Eckhard von Hirschhausen.

Die Frage der Zukunft ist: Wird Christian Stückl weitermachen nach seiner vierten Passion und nach einem Herzinfarkt bei den diesjährigen Proben? In acht Jahren kann viel passieren.

Die Passionsspiele gehen bis 2. Oktober; insgesamt gibt es 103 Aufführungen. Karten gibt es unter: 08822/8359330.

Lesen Sie meine Theaterkritik:

in der Passauer Neuen Presse

auf www.pnp.de  online

in der Mittelbayerischen Zeitung –­ Regensburg

im Donaukurier – Ingolstadt