Wo Oper zum Kino wird

Die Kreuzritter v.l.: Rinaldo (Sabine Noack), Eustazio (Peter Tilch) und Goffredo (Juliane Wenzel). © Landestheater Niederbayern/Peter Litvai

Händels „Rinaldo“ am Landestheater Niederbayern

 

Kobie van Rensburg inszeniert

„Barock & Rock“ und „Keep calm and Handel it“ kann der Zuschauer am Ende der aktuellen Inszenierung der Barockoper „Rinaldo“ am Landestheater Niederbayern. Dies scheinen die Kernsätze des Gastregisseurs Kobie van Rensburg, Sänger, Barockspezialist und Regisseur. Am Landestheater inszenierte er mehrfach. In bester Erinnerung sind Monteverdi-Trilogie („Poppea“, „Ulisse“, „L’Orfeo“), Händels „Alcina“ und zuletzt Donizettis „Maria Stuarda“. Gut durchdachte Regiekonzepte waren da das Markenzeichen des Südafrikaners.

Oper wurde fast 200 Jahre lang nicht gespielt

Nicht anders ist es bei Georg Friedrich Händels Oper „Rinaldo“, übrigens die erste, die der deutsche Komponist in London 1711 schrieb und die 53 Mal zu seinen Lebzeiten aufgeführt wurde – das war damals sensationell, wie in Händels Biografie nachzulesen ist. Fast 200 Jahre wurde die Oper nicht mehr gespielt; wer das Libretto und die Regieanweisungen liest, weiß warum. Händels Komposition erfordert einen riesigen Apparat an Zauberwesen . . .;erst 1954 gab es wieder eine professionelle Aufführung in Deutschland.

Am Pult: Cornelia von Kerssenbrock

Die musikalische Leitung hat Cornelia von Kerssenbrock, bereits mehrfach Gast am Landestheater. Die Dirigentin, auch musikalische Leiterin des Opernfestivals Gut Immling im Chiemgau, servierte einen tänzerischen und frischen Händel. Sie gab den Sängern Raum, ihre Arien zu entwickeln. Die zügig dirigierte Basso-Continuo-Gruppe war das musikalische Polster dafür. Hübsche Idee: Die Flöten, die den Vogelgesang imitieren, werden als Fernmusik in den ersten Rang gesetzt.

Bühne mit zwei Optiken

Der König (Miroslav Stričević) fliegt über seine Stadt Jerusalem. © Landestheater Niederbayern/Peter Litvai

Löblich, dass sich ein Barockspezialist wie  Kobie van Rensburg gerade dieser Oper annimmt. Er hat eine geniale Lösung gefunden: Händels Zauberwelt verlegt er ins Kino; während die Sänger auf der Bühne und das Orchester im Graben wie gehabt funktionieren. Das Raffinierte daran: Er katapultiert die Sänger, die mit drei Kameras aufgenommen werden, mittels Bluescreen-Verfahren in das Filmgeschehen, das oben eingeblendet ist. Es gibt als eine Bühne mit zwei horizontalen Optiken. Für manchen Zuschauer war das zunächst verwirrend – und dann aber doch sehr reizvoll zwischen den beiden Ebenen zu wandern.  Oper und Kino waren gleichzeitig auf einer Bühne! Kobie van Rensburg hat dies nicht extra für Passau entwickelt, sondern es gab bereits zwei Versionen von „Rinaldo“ am Theater Chemnitz und an der Oper von Oviedo (Spanien).

Eintauchen in die virtuelle Welt

Für Passau war es jedenfalls Neuland – und was für eines! Krieger reiten durch die Wüste, schlangenartige Furien fletschen ihre Zähne, der König kommt auf dem fliegenden Teppich daher und umkreist ein Jerusalem, auf dem sogar Stadtmauern, einzelne Kirchen und der Felsendom zu erkennen sind. Animierte Schafe fressen vor sich hin, und niedliche Vögel umschwirren Almirena. Dazu kommen die zwei Zauberkreise der schwarzen und der weißen Magie und beide Seiten sind überzeugt: „Möge diese Magie uns zum Sieg verhelfen!“ Wan Kenobi und „Star Wars“ seien gegrüßt.

Ja, in dieser virtuellen Welt ist vieles möglich, und  Kobie van Rensburg bedient die Klaviatur perfekt. Sogar der weiße Hai darf aus den Tiefen des Wasserparadieses von Zauberin Armida auftauchen und das Floß der Kreuzritter bedrohen.

Posen und Kostüme aus der Zeit

Der Regisseur lässt die Sänger hauptsächlich in Posen agieren, die sich dann gut in die virtuelle Welt einfügen lassen. Die Kostüme erinnern an die Zeit des elften Jahrhunderts, in der das Stück angesiedelt ist – und sind doch stilisiert. Der König trägt ein gelb-schillerndes Gewand und Schnabelschuhe, die Kreuzritter tragen Kettenrüstzeug, Schwert und Schild mit dem Malteserkreuz; Goffredo trägt die französischen Lilien des historischen Gottfried von Bouillon;  die Damen sind höfisch gekleidet, die Armida erhält noch eine zauberische Aura um ihr Gesicht.

Das Ensemble besteht mit Bravour

Dass sich die Sänger die Aufmerksamkeit des Publikums mit virtuellen Szenen und Wesen teilen müssen, macht es für sie, die noch dazu exakte Positionen einnehmen müssen, sicher nicht leicht. Aber alle bestehen mit Bravour.

Vortreffliche Titelfigur: Sabine Noack

An erster Stelle sind Rinaldo und Almirena zu nennen. Mezzosopranistin Sabine Noack, bereits bewährt in Hosenrollen, gibt einen vortrefflichen Rinaldo. Mehr an Liebes- als an Kriegsdingen interessiert, ist ihr Ritter vor allem an der schönen Tochter des Goffredo interessiert. Krieg führt er nur, damit der Vater ihm die Tochter gibt. Höhepunkt ist Noacks Interpretation der Arie „Cara sposa“, in der der Ritter den Verlust der Geliebten beklagt. Die Zartheit im Pianissimo der Lamento-Passage ist große Klasse.

Wunderschöne Koloraturen: Emily Fultz

Almirena (Emily Fultz) in ihrer Lamento-Arie; daneben: der in sie verliebte Argante (Miroslav Stričević). © Landestheater Niederbayern/Peter Litvai

Mit Emily Fultz ist eine ideale Almirena gefunden: kokett, verliebt und sängerisch immer top. Wunderschöne Koloraturen! Höhepunkt ist natürlich „Lascia ch’io pianga“, die wohl bekannteste Arie der Oper, die allerdings schon früher komponiert wurde. Mit extremen Dehnungen und leise interpretiert die Sopranistin das Lamento; betörend und berührend. Die Dirigentin gibt ihr den Raum dazu; der Regisseur schenkt ihr eine Regieidee: in Armidas Palast gefangen, ist sie gefesselt aufgehängt, muss quasi über Kopf singen. Dieses abstruse Bild lenkt ganz die Aufmerksamkeit auf die Sängerin vor der Bluescreen.

Glänzender König, blutrünstige Zauberin

Armida (Ina Yoshikawa) in ihrer außerordentlichen Rache-Arie. Daneben: der reuige Argante  ((Miroslav Stričević). © Landestheater Niederbayern/Peter Litvai

Das zweite Paar der Oper sind Argante (Miroslav Stričević) und Armida Ina Yoshikawa). Der Bassbariton hat einen glänzenden Auftritt mit schönen Koloraturen als Herrscher am fliegenden Teppich, seine Frau ist als Zauberin die Drahtzieherin der Liebeswirren. Die japanische Mezzosopranistin gibt sie als hinterlistige Hexe, die schon mal einen Voodoo-Kult traktiert, um ihren Zorn zu besänftigen. Der Höhepunkt ist ihre Rache-Arie im Zwiegespräch mit dem Cembalo. Da dürfen im Kino über der Skelette in einem blutroten Wasser mit ihr tanzen und der Cembalist darf sich dazu gesellen.

Krieg wird ironisiert

Zwei tragende Figuren der Oper sind die beiden Kreuzritter Goffredo (Juliane Wenzel in einer Hosenrolle) und Eustazio (Peter Tilch). Die zwei Figuren führen den Krieg ad absurdum, bringen Witz und Ironie auf die Bühne, besonders in der köstlichen Ruder-Szene, die zum Slapstick wird,  oder auch in ihren Tanzfiguren zu den weisen Sprüchen des christlichen Magiers (Kyung Chun Kim) – quasi ohne Unterleib. Wenn Eustazio auf dem Pferd durch die Wüste prescht, wirkt er eher wie ein Lawrence von Arabien als ein gefährlicher Krieger.

 

Die Übersetzung der Operntexte war oft salopp und Jugendsprache. Darüber freute sich vor allem das junge Publikum, das gut vertreten war.

Ja – Regisseur Kobie van Rensburg und das gesamte Ensemble blieben ruhig und ließen es auch mal rocken. Der Händel wurde bestens gehandhabt.


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